Bewegungsmangel mit System – wie wir unsere Kinder krank machen

Bewegungsmangel bei Kindern

Von MMag. David Jungreithmayr

Aufgrund des immer schlechter werdenden Gesundheitszustands der Kinder und Jugendlichen, spielt die Gesundheitsförderung bereits in früher Kindheit eine wichtige Rolle. Doch die Verantwortung wird zwischen Eltern, Schulen und Betreuungseinrichtungen oft hin und hergeschoben.

Die Entwicklungsbedingungen für Kinder und Jugendliche haben sich durch den technischen Fortschritt in den Industrieländern deutlich verschlechtert. Oft ist der natürliche Bewegungstrieb der Kinder und Jugendlichen durch Massenmedien, vermehrte Motorisierung oder durch nicht vorhandene Lebens- und Spielwelten stark eingeschränkt. Im städtischen Bereich sind oft nur mehr isolierte Bewegungsräume vorhanden, dadurch sind die Kinder sehr stark in ihrem Welterforschungsdrang gestört. Damit die Kinder aktiv an ihrer Identitätsentwicklung beteiligt sein können, bedarf es aber auch einer passenden Umwelt.

Bewegungsmangel stellt ein schwerwiegendes Risiko für die gesundheitliche Entwicklung im Kindes- und Jugendalter dar. Oft werden schon hier die Weichen für spätere Erkrankungen wie Diabetes Typ II und Hypertonie gestellt. Diese durch Bewegungsmangel entstandenen negativen Konsequenzen können im Erwachsenenalter meist nicht mehr vollständig wettgemacht werden. Deshalb ist es besonders wichtig, den Kindern und Jugendlichen eine optimale körperliche und geistige Entwicklung zu ermöglichen.

Die Hauptaufgabe im Kindesalter besteht darin, den Organismus zur vollen Entfaltung zu bringen. Gerade in diesem Alter bilden sich Verhaltensmuster heraus, die im Erwachsenenalter fortgesetzt werden und somit das Gesundheitsverhalten des späteren Lebens bestimmen. Deshalb muss so früh wie möglich mit einer Bewusstseinsbildung über den positiven Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Gesundheit begonnen werden.

Status quo der Gesundheit von Kinder und Jugendlichen

Seit 1986 wird der „Health Behaviour in School- Aged Children Survey“ (HBSC) alle vier Jahre durchgeführt. Mittlerweile ist die Zahl der teilnehmenden Nationen auf über 40 angestiegen. Über 180 ForscherInnen arbeiten auf interdisziplinärer Ebene zusammen. Auch andere Organisationen wie die „Europäische Kommission“ oder „UNICEF“ greifen auf die Datensätze der HBSC Studie zurück.

Abb. 1. zeigt die wichtigsten Daten der HBSC- Studie im Überblick. Auffällig ist, dass in der Adoleszenz die gesundheitlichen Beschwerden sowie die schlechte subjektive Gesundheitseinschätzung ungefähr im gleichen Ausmaß steigen, wie die körperliche Aktivität sinkt. Sehr interessant ist der Vergleich zwischen den Fernsehgewohnheiten und der Bewegungsaktivität von Kindern und Jugendlichen. Knappe 60% sehen täglich über zwei Stunden fern. Der Anteil der 15 Jährigen, die sich täglich bewegen, liegt hingegen unter 20% (HBSC, 2012, S. 68ff.).

Datenvergleich HBSC

Welche Bedeutung hat Bewegung auf die Gesundheit von Kinder und Jugendlichen

Bewegung ist wichtig für körperliche und geistige Entwicklung. Kindern soll aber nicht nur starr organisierte Vereinssportarten vermittelt werden, sondern sie brauchen auch Aktivitäten, bei denen sie ihre eigenen Stärken erkennen und ausleben können. Nur wenn Kinder auf wohl dosierte Risiken stoßen, können sich ihre sozialen und persönlichen Fähigkeiten entwickeln und so ihr Selbstkonzept stärken.

Kinder und Jugendliche sollen die Möglichkeit haben, sich täglich zu bewegen. Daher müssen Interventionen auch am Umfeld (z.B.: bewegungsfreundliche Schule, Wohnumfeld usw.) ansetzen. Sowohl Eltern als auch LehrerInnen haben die Aufgabe positive Vorbilder zu sein und den Kindern die Freude an der Bewegung näherzubringen. Im Mittelpunkt soll hier nicht die Vermittlung bestimmter Sportarten stehen, sondern ganze Themenkomplexe, die Probleme, Wünsche und Bedürfnisse der Zielgruppe thematisieren. Dadurch können Kinder und Jugendliche Erfahrungen machen, die sie bei der Bewältigung alltäglicher Lebenssituationen unterstützen.

Der Aufbau eines Selbstkonzeptes und die Entwicklung der Identität sind zentrale Entwicklungsaufgaben im Kindes- und Jugendalter. Studien zeigen, dass Bewegung, Spiel und Sport bei dieser Entwicklung helfen können. Kinder und Jugendliche die regelmäßig körperlich aktiv sind, verfügen über ein besser ausgeprägtes Selbstkonzept als gleichaltrige Inaktive. Bewegung und Spiel bieten Kindern elementare Erlebniswelten. Beim Spielen können die Kinder Vergangenes aufarbeiten, sowie Aggressionen und Spannungen abbauen.

Kinder können auch in andere Rollen schlüpfen und somit auch andere Verhaltensweisen erproben. In alltäglichen Situationen von Bewegung, Spiel und Sport erlernen Kinder Regelbewusstsein und sind gleichzeitig aktiv in einen Gestaltungsprozess involviert. Besonders für den Aufbau sozialer Beziehungen haben diese spielerisch erlebten Erfahrungen eine entscheidende Bedeutung. Durch Bewegung und Spiel lernen die Kinder ihre eigenen Fähigkeiten einzuschätzen und dass sie selbst Erfolg oder Misserfolg beeinflussen können.

Lecheler (2008, S. 242) kritisiert heftig, dass aus dem eindeutigen Wissensstand keine, oder falsche, Konsequenzen gezogen werden. „Schwierigen Jugendlichen wird der Schulsport gestrichen, dicke Kinder werden mit nutzlosen oder gar gefährlichen Diäten gequält und Asthmakinder von Sport und Bewegung eher abgehalten.“

Hier muss ein Umdenken stattfinden und Bewegung, Spiel und Sport mit all seinen positiven Wirkungen auf den Körper in das tägliche Leben der Kinder und Jugendlichen integriert werden.

Denn körperliche Aktivität ist für die physische, psychische und soziale Entwicklung von Kindern von essenzieller Bedeutung. Körperliche Aktivität wirkt sich nicht nur auf die Leistungsfähigkeit und Gesundheit, sondern auch auf die schulische Leistung positiv aus. Wenn Kinder spielen, haben sie Spaß, sie erfahren Erfolgserlebnisse und festigen so ihr Selbstwertgefühl. Kinder lernen auf spielerische Weise Andere zu respektieren und gemeinsam Probleme zu lösen. Erwachsene Bezugspersonen sollen Vorbilder sein, an deren Interessen, Fähigkeiten und Gesundheitsverhalten sich die Kinder orientieren können. Aufgrund der weiteren Entwicklung von Körper und Geist ist Bewegung im Kindes- und Jugendalter noch viel wichtiger als im Erwachsenenalter.

Die Bedeutung der Schule als Ort der Gesundheitsförderung

Vermutlich ist die Schule das wichtigste Setting in der Gesundheitsförderung, weil durch die Schule der Großteil der Bevölkerung über mehrere Jahre erreichbar ist, und sich in diesem Zeitraum Gewohnheiten herausbilden, die möglicherweise bis ans Lebensende beibehalten werden. Im Fokus stehen alle am Schulleben beteiligten Personen mit dem Ziel nicht nur das Verhalten, sondern vor allem den Lebensraum Schule gesundheitsförderlich zu optimieren. Die Gesundheitsförderung ist dabei eng mit den Wünschen und Bedürfnissen, sowie der persönlichen sozialen Entwicklung der SchülerInnen verbunden. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sich viele Aspekte der Schule positiv und negativ auf die Gesundheit der SchülerInnen auswirken.

Wenn Gesundheitsförderung im Setting Schule seriös betrieben wird, dann müssen die Interventionen hauptsächlich an der Schule selbst als eigenständiges gesundheitsförderndes System ansetzen. Gesundheitsförderung im Setting Schule muss an den Zielen und Wünschen der Kinder und Jugendlichen orientieren, da jedes Kind einen anderen Zugang zu Gesundheit hat. Die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern ist ein komplexes Zusammenspiel zwischen psychischen, sozialen, kognitiven und motorischen Faktoren.

Aus diesem Grund ist es völlig sinnlos, einzelne Elemente isoliert fördern zu wollen, da Kinder eine ganzheitliche Unterstützung brauchen, um all ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Bewegung, Spiel und Sport haben zwei grundlegende gesundheitsförderliche Effekte in der Schule. Sie können zum einen zu lebenslangem Sporttreiben motivieren und zum anderen die körperliche, psychische und soziale Entwicklung der Kinder durch das Spiel selbst fördern. Die HBSC Studie konnte belegen, dass Kinder und Jugendliche, die in der Schule positive ’sportliche‘ Erfahrungen machen, eher über eine gute Gesundheit und hohe Lebenszufriedenheit verfügen und weniger über gesundheitliche Beschwerden klagen.

Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem psychischen Wohlbefinden, dem Gesundheitsverhalten und den Erfahrungen die Kinder und Jugendliche in der Schule machen. Natürlich hängt die Gesundheit von vielen sozialen Einflussfaktoren ab, aber weil die Kinder und Jugendlichen einen Großteil ihres Tages in der Schule verbringen, ist vielleicht auch die bewegungsunfreundliche Institution Schule mitverantwortlich für diese alarmierende Entwicklung der letzten Jahrzehnte.

Trotz vieler Gesundheitsprojekte in Schulen ist der langfristige Benefit für die Gesundheit eher bescheiden. Der Hauptgrund liegt vermutlich in der fehlenden Partizipation der SchülerInnen. Viele Projekte verfolgen zwar in der Theorie den Ansatz des Empowerments, in der Praxis werden SchülerInnen jedoch nur selten in die Planung der Gesundheitsförderung miteinbezogen.

Durch die Vernachlässigung der verhältnisorientierten Interventionen lässt die Nachhaltigkeit oft zu wünschen übrig. Um eine selbstgestaltete Bewegungsaktivität zu ermöglichen, müssen Räume geschaffen werden, in denen den SchülerInnen ein sinnvoller Wechsel zwischen Lernanspannung und Entspannung durch Bewegung, Spiel und Sport ermöglicht wird. Die Schule sollte sich nach außen öffnen und auch nach Schulende und an den Wochenenden ein frei zugänglicher Bewegungsraum für die ganze Familie sein.

P.S: Die SchülerInnen der 6.Klassen des G11 haben ihren Sportunterricht ein halbes Jahr mit Kameras begleitet und einen Youtube Kanal generiert, der zeigt, wie facettenreich Bewegung in der Schule sein kann: Sportunterricht (YouTube)

Dieser Artikel beinhaltet Auszüge aus: Jungreithmayr, D. (2015). Gesundheitsförderung kompakt. Bewegte Kinder—Schlaue Schule. Saarbrücken. AV Akademikerverlag.

Linktipps:

Gesundheitsförderung kompakt (D. Jungreithmayr; 152 S.)
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