Megageschäft Mann – wie die Kosmetikindustrie auf den Mann kam

Männerkosmetik

Von Birgit Weilguni

Lange ist es noch nicht her, dass Kosmetik für den Mann, wenn überhaupt, dann nur heimlich konsumiert wurde. Zu verweichlicht, eitel und vor allem unmännlich wäre Mann dagestanden, wenn er mit Cremen, Wässerchen oder womöglich Schminke erwischt worden wäre. Heute sieht die Sachlage ganz anders aus. Männerkosmetik ist salonfähig geworden, wenn auch nur in „normaler“ Dimension.

Männliche Attribute und Soll-Verhaltensweisen werden auch heute noch intensiv bedient: TV-Spots und Werbung pochen nicht umsonst auf typische Klischees wie „unbesiegbares Styling unter extremsten Bedingungen“ mithilfe von Garnier, „getunte“ statt gefärbte Haare mit Alpecin – „schwarz wie Motorenöl“, Deos für Männer, „bereit für Abenteuer und den ultimativen AXE Effekt“, mit „Champions der Pflege“ von Biotherm Homme „grenzenlose Frische“ erfahren oder Cool-Shampoo von Nivea für „Männer, die immer einen kühlen Kopf bewahren wollen“. Schlagwörter wie Stärke, Kraft, Gelassenheit, Frische oder Charme passen eben zu attraktiven Männern – und dementsprechend zu ihren Pflegeprodukten. So hat nun Kosmetik für Männer endlich ihren „Schrecken“ verloren. Der Mann von Welt ist nicht nur „schöner wie ein Aff‘“, um Friedrich Torbergs Tante Jolesch zu zitieren, sondern weiß auch ganz genau, wie er dieses Ziel erreichen kann.

Kosmetik für jeden Körperteil

Die vierzehnjährige Hannah schenkt ihrem zwölfjährigen Bruder Paul zum Geburtstag sein „erstes Axe“ – samt Anleitung, wie sparsam er damit umzugehen habe. Übertrieben? Gerade halbwüchsige Jungs nehmen es mit der Körperpflege oftmals nicht so genau. Sie auf ein gesundes Maß einzuschwören, kann nicht ganz falsch sein. Und das sehen offenbar viele erwachsene Männer auch so. Axe Deos, Aftershave, Bodyspray oder Duschgels zählen – sicherlich nicht zuletzt dank der kultverdächtigen Werbelinie – zu den Kosmetikprodukten, zu denen Mann stehen kann, ohne das Gesicht zu verlieren. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sie „Männerlinien“ entspringen und nicht nur von der Frau ausgeborgt wurden.

Entsprechend haben Marktgiganten wie Nivea, L’Oréal (Biotherm, Garnier), Dove oder Alpecin den Markt aufgemischt und machen mit immer neuen Produkten auf sich aufmerksam: Augencreme, Lippenpflege, Gesichtsreinigung, Körperspray, Sonnenpflege oder Peelings – extra für den Mann. Sie berücksichtigen die Unterschiede in der Talg- und Schweißproduktion, der Feuchtigkeit, der Tendenz zu Schuppen, aber natürlich auch die Duftnote, die beim Mann anders ausfällt. Berechtigt sind diese Unterschiede allemal, selbst Wissenschaftler haben längst belegt, wie unterschiedlich Männer- und Frauenhaut und -haare sind.

Haare? Jein!

Apropos Haare: Gesichtsrasur muss bei gut zwei Drittel aller Männer sein, ein Viertel rasiert sich sogar täglich. Ein haarloser Intimbereich ist für etwa 30 Prozent ein Muss, glatte Achseln für fast ebenso viele. Auch Nase und Ohren benötigen ab und an eine Rasur – daran halten sich immerhin 22 bzw. 16 Prozent der Männer. Nur bei Rücken, Armen und Beinen streikt der überwiegende Teil des starken Geschlechts.

Schütteres Kopfhaar gilt allgemein als Zeichen des Alterns, unter dem viele Männer leiden. Mittlerweile stehen jedoch immer mehr Männer zu einer „Charakterglatze“ und entscheiden sich bei schütterem Haar lieber für die Radikalrasur. Eine Glatze will aber durchaus auch gepflegt sein und auch darauf haben längst Kosmetikkonzerne reagiert.

Haare sind ja grundsätzlich Geschmackssache, denn während manche auf Brustpelz ganz versessen sind, kommt für andere nur die Totalrasur infrage. Das Thema Haare – wo auch immer – wird wohl noch längere Zeit die Geister scheiden. Auch für diese Thematik hat die Kosmetikindustrie Lösungen gefunden.

Wer hat’s erfunden?

Stilvolle, teure Kleidung macht noch keinen Mann attraktiv. Dazu gehören auch reine Haut, ein guter Haarschnitt und sichtbar gepflegte Haare, schöne Zähne und guter Atem, saubere, geschnittene Finger- und Zehennägel und ein dezent duftender Körper. Immer mehr Produkte gehören zu einem von Kopf bis Fuß gepflegten Mann. Entsprechend wachsen die Sortimente von Marktführern wie Beiersdorf (Nivea) und LʼOréal laufend an. Immerhin wuchs der Männerkosmetikmarkt laut Beiersdorf zwischen 2006 und 2010 jährlich um 4,6 Prozent an. Manche Konzerne verbuchen Wachstumsraten von bis zu 20 Prozent.

Begonnen hat den Hype um den gepflegten Mann laut eigenen Angaben Anfang der Achtzigerjahre Biotherm Homme, die Männerpflegeserie der Edelmarke unter dem Dach von L’Oréal. Bald sprangen andere Konzerne auf den Zug auf und legten mit unzähligen Produkten bis hin zu Make-up, Selbstbräunern oder Antifaltencremen nach. Waren es anfangs die „Männer von Welt“, die sich von Luxusmarken wie Shiseido, Clinique, Clarins, Lancôme oder Dior verhübschen ließen, legen heute auch breitenwirksame Marken wie Niveau immer neue Produkte auf und lassen so auch bei weniger zahlungskräftiger Klientel keine Pflegeausreden aufkommen.

Wie bei vielen Trends mündet auch dieser mitunter in eher „unmännliche“ Formen wie Schönheits-OPs oder wöchentliche Kosmetiktermine. Selbst Permanent Make-up, die Kunst der kosmetischen Tätowierung, ist kein Tabu mehr. Dabei geht es jedoch hauptsächlich darum, kleine Makel zu kaschieren – etwa, wenn durch eine Narbe ein Teil der Augenbraue fehlt.

Wohin geht der Trend?

Heute investieren laut manchen Kosmetikkonzernen heimische Männer jährlich an die 30 Millionen Euro in Kosmetik. Ein Viertel cremt täglich die Hände ein, jeder Zehnte investiert Zeit und Geld in Gesichtspflege. Nur Make-up für Männer verweigert hartnäckig das Trenddasein – nur drei Prozent der Männer gestehen, dass sie Make-up verwenden – im Wesentlichen Abdeckstifte und Gesichtspuder.
Zukunftsforscher rechnen jedenfalls weiterhin mit stetigen Zuwachsraten auf dem Männerkosmetikmarkt. Potenzial wird etwa noch bei Antifalten-Cremen und Make-up vermutet. Ob diese Trends nun dem Druck der Werbeindustrie oder einfach einem gesteigerten Pflegebewusstsein zuzuschreiben sind, will keiner so recht beantworten. Das Ergebnis ist in jedem Fall markant.

Auch wenn ein Hype auch immer übersteigerte Extremformen mit sich bringt, so ist wohl gegen gepflegte Männer grundsätzlich nichts einzuwenden. „Angemessene“ Körperpflege hat jedoch nichts mit Fläschchenbatterien, stundenlangen Sessions bei der Kosmetikerin oder schwarz umrandeten Augen zu tun. Passende Männerkosmetik deckt das ab, was notwendig ist, um Männer gepflegt und attraktiv zu erhalten – in eine Duftwolke gehüllte Barbie-Kens, die mehr in ihre Schönheit investieren als ihre Frauen, braucht eigentlich niemand.

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