Der Kampf gegen Lebensmittelabfälle trägt langsam Früchte

Der Kampf gegen Lebensmittelabfälle trägt langsam Früchte

Von Nikolai Atefie

Mindestens 760.000 Tonnen an Lebensmittel werden jährlich alleine in der kleinen Alpenrepublik Österreich weggeworfen, in der EU sind es gar 88 Millionen Tonnen. Lebensmittelverschwendung hat vielerlei Gründe und ist nicht alleine den Supermarktketten anzulasten, auch das Nachfrageverhalten der Konsumenten trägt einen wesentlichen Teil dazu bei. Aber es hat den Anschein, als würden Industrie und Konsumenten in Europa langsam aufwachen und sich der Tragweite ihres Handelns bewusst werden. Dank zahlreicher Initiativen landet tatsächlich weniger Essbares, welches früher bedenkenlos weggeschmissen wurde, im Müll.

Wer den Begriff Lebensmittelabfall hört, denkt oft an verdorbene Ware, tatsächlich wird aber der Großteil von Lebensmittel in einwandfreiem Zustand weggeschmissen. Dies liegt an industrieller Überproduktion ebenso, wie am Verlangen vieler Konsumenten nach ständig frischer und optisch makelloser Ware. Die Konsequenzen sind verheerend: tagtäglich werden Tonnen an genießbarer, unverdorbener Ware einfach in den Müll gekippt.

Ein Zustand, der nicht nur ressourcenverschwenderisch, sondern auch unethisch ist, wie immer mehr Konsumenten meinen. Aufgrund zahlreicher Initiativen kommt nun allerdings Bewegung in das Thema Lebensmittelrettung. Erst kürzlich wurden die Wiener Essensretter der Initiative foodsharing.at bei der österreichweiten Kampagne unter dem Titel „Orte des Respekts“ mit ihrem Projekt „Fair-Teiler“ zum Landessieger gekürt. Viel wichtiger als das Preisgeld in der Höhe von 2.000.- EUR war die mediale Aufmerksamkeit, die dem Projekt damit geschenkt wurde. Dabei ist die Idee dahinter simpel und leicht erklärt: Lebensmittel teilen anstatt sie wegzuwerfen. Ein Ansatz, für den sich nun auch die Stadt Wien zu interessieren beginnt. Aber dazu später mehr.

Denn vorher wollten wir herausfinden, wie es eigentlich zu derart großen Mengen an Lebensmittelabfall kommt. Wir haben uns dafür den Warenzyklus etwas genauer angesehen um herauszufinden, welche Faktoren für die Entscheidung zur Entsorgung maßgeblich sind.

Abfall bereits beim Anbau

Insgesamt werden in Österreich rund 25 % der Lebensmittel weggeworfen. Ein Viertel davon fällt direkt beim Anbau an. Dies liegt einerseits an Schädlingsbefall oder Mängel aufgrund schlechter Witterung, meistens ist aber die Ästhetik der Hauptgrund für den Abfall am Feld.

Obst und Gemüse muss heute nämlich vielen Normen entsprechen. Dies betrifft praktische industrielle Vorgaben ebenso, wie rein ästhetische Komponenten. Zucchini etwa sollten möglichst das gleiche Gewicht haben um sie später im Supermarkt auch in konformen Verpackungs- und Gewichtseinheiten verkaufen zu können. Auch die Länge und Breite spielt eine wichtige Rolle um in die Verpackung zu passen und generell muss – so der überwiegende Tenor der Handelskonzerne – die Optik passen um den Kundenwünschen nach makelloser Ware gerecht zu werden.

Makellosigkeit ist sowieso das Kriterium schlechthin. Kleine Auswüchse, asymmetrisch gewachsenes oder vernarbtes Obst und Gemüse sind im Supermarkt praktisch nicht zu finden. Nur optisch ansprechende Ware findet den Weg in die Regale, der Rest wird bereits bei der Ernte aussortiert, teilweise als Bodendünger eingearbeitet oder als Tierfutter verwendet.

Selten gelangen diese unerwünschten Außenseiter an unseren Esstisch. Zu hoch ist der Aufwand, etwa weil eine maschinelle Weiterverarbeitung von Obst und Gemüse ohne Norm oft nicht möglich ist und die Mehrkosten meist nicht in Relation zum Marktpreis stehen.

Und die Konsumenten wünschen es mehrheitlich auch so, obwohl jeder Hobbygärtner weiß, dass die Pflanzen im eigenen Gemüsebeet oder auf der Streuobstwiese ganz anders aussehen und die im Shop angebotene Ware nicht annähernd dem natürlichen Durchschnitt entspricht.

Lagerung – Zu warm, zu kalt, zu langsam

Auch die Lagerung ist ein kritischer Punkt. Es ist selten so einfach wie bei Kartoffeln und Zwiebel, die mit dunkler und kühler Lagerung wochenlang haltbar bleiben. Im Gegensatz dazu halten Erdbeeren nach der Ernte nur wenige Tage, was sowohl den Transport als auch die Lagerung sehr schwierig gestaltet.

In Europa ist falsche Lagerung und ein nicht optimierter Transport jedenfalls für rund 12% aller Lebensmittelabfälle verantwortlich. In Afrika hingegen, wo es in großen Teilen des Kontinents eine nur ungenügende Infrastruktur gibt, fallen in diesem Abschnitt des Herstellungs- und Vertriebsprozesses sogar rund ein Drittel an Lebensmittelverlusten an.

Weiterverarbeitung – Produktionsfehler

Ein weiterer – mit 5 % eher kleiner – Teil unserer Lebensmittel wandert während der Weiterverarbeitung in den Müll. Oft handelt es sich um Produktionsfehler, wenn Joghurt zum Beispiel in Sauerrahm-Becher gefüllt werden. Auch wenn eine falsche Produktionsnummer oder ein falsches Mindesthaltbarkeitsdatum aufgedruckt wird, werden die Produkte zumeist weggeworfen.

Die Hersteller rechtfertigen ihr Vorgehen damit, dass der Aufwand zu hoch wäre um es etwa an Bedürftige spenden zu können, gemeint ist natürlich, dass es gewinnorientierten Unternehmen mehr Kosten als Nutzen bringt und deshalb diese Möglichkeit gar nicht erst in Betracht gezogen wird. Dieses Verhalten wird auch dann an den Tag gelegt, wenn Ware mangels entsprechender Nachfrage nicht abgesetzt werden kann. So werden tagtäglich einwandfreie Lebensmittel im Müll entsorgt.

Böser Handel?

Es hat etwas vom Henne-Ei Problem. Benehmen sich die Kunden in ihrem Nachfrageverhalten so, weil es ihnen der Handel im Angebot so nahelegt, oder reagieren der Handel so, weil es die Kunden von ihm verlangen?

Fest steht: im Supermarkt zählt die Frische der Produkte, eine schimmelnde Orange kann den Kunden schon mal davon abschrecken überhaupt Orangen zu kaufen. Wenn hingegen nicht alles lagernd ist, tendiert der Kunde womöglich in Zukunft dazu einen anderen Supermarkt aufzusuchen, der auch noch kurz vor Ladenschluss ein vollständiges Sortiment (Stichwort Brot, Obst und Gemüse) hat. Hinzu kommen die – in gewissen Segmenten – enormen Preisspannen im Einzelhandel. Sie ermöglichen es, dass das Wegschmeißen bei einem Überangebot billiger ist als eine Verteilung.

Endverbraucher – die wahren Übeltäter!?

Die letzte Station im Warenzyklus ist der Konsument und er ist in Europa für mehr als die Hälfte des ganzen Lebensmittelabfalls verantwortlich. Fünfzig Prozent der weggeschmissenen Lebensmittel stammen von Gastronomiebetrieben und privaten Haushalten. Das muss man einmal wirken lassen.

Die Gründe kennen wir alle aus dem Alltag. Durch „Aktionen“ verleitete Hamsterkäufe, schlechte Lagerung, wenig Überblick über den Bestand im eigenen Kühlschrank sind die Hauptursachen für die Entsorgung von Lebensmittel. Auch die falsche Einschätzung des Mindesthaltbarkeitsdatums spielt oft eine Rolle. Viele Lebensmittel werden weggeschmissen weil das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, dabei wird der Zustand der häufig absolut einwandfreien Ware gar nicht überprüft. Konsumenten verwechseln Mindesthaltbarkeit mit Verfallsdatum und entsorgen die Produkte einfach.

Tatsächlich könnten wir uns pro Haushalt jährlich viele hundert Euro sparen wenn wir uns mehr mit unserer Ernährung und unserem Verbrauchsverhalten beschäftigen würden.

Zwei simple Tipps können maßgeblich dazu beitragen Lebensmittelabfall zu minimieren:

1. Vor dem Einkauf sollte man eine Bestandsaufnahme zu Hause machen und sich einen Einkaufszettel schreiben, von dem man beim Einkauf auch nicht mehr abweicht.

2. Damit nichts verdirbt sollte man sich fragen: Wann kaufe ich wo was und wann werde ich es wie verbrauchen?

Und falls man einmal unerwarteterweise wegfährt oder essen geht, kann man praktisch alles einfrieren oder – wieso nicht – dem Nachbarn schenken.

Viele kreative Lösungen

Der im Jahr 2011 herausgebrachte Film Taste the Waste (deutsch: Koste den Abfall) des deutschen Dokumentarfilmers Valentin Thurn beschäftigte sich mit dem Umgang der Industriegesellschaften mit Nahrungsmitteln und die globalen Ausmaße von Lebensmittelabfall und rückte das Thema erstmals ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit.

Seitdem steigt die Zahl erfolgreicher Food Waste Initiativen in Europa beständig an. Das dänische Restaurant Rub’n’Stub etwa, verwendet für den Großteil seiner Speisen Zutaten die sonst weggeschmissen werden würden.

Die britische Initiative „Feeding the 5000“ möchte Bauern motivieren ihre Felder von Freiwilligen nachglauben zu lassen und so Agrarprodukte zu retten, die sonst am Feld verrottet wären. Selbst große Supermarktketten haben verstanden, dass mit dem Thema Kunden gewonnen werden können. Vermehrt wird Ware, die ein kurzes Ablaufdatum hat oder schwer verkäuflich ist nun wieder zu stark reduzierten Preisen angeboten. Der französische Supermarktriese Intermarché und die österreichsche Supermarktkette Billa bieten unter der Bezeichnung ‚Wunderlinge‘ seit einiger Zeit vergünstigt Obst und Gemüse an, das nicht der Norm entspricht.

Das Bewusstsein um die Problematik von Lebensmittelabfall scheint nun in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. Allein in Österreich sind zahlreiche größere Initiativen erfolgreich unterwegs.

Beim bereits erwähnten Verein Foodsharing (ursprünglich aus Deutschland) können überschüssige Lebensmittel unkompliziert und kostenlos in öffentlichen Kühlschränken (sogenannten „Fair-Teilern“) geteilt werden. Die Lebensmittelretter holen Essbares bei Firmen ab und deponieren es in den Fairteilern, also öffentlich zugänglichen Orten, die mit Kühlschränken und Regalen ausgestattet sind. Die Freiwilligen kümmern sich auch um die Instandhaltung und um die Befüllung. Der Inhalt kann zum Beispiel Lebensmittel mit kurzem Haltbarkeitsdatum vom Supermarkt nebenan umfassenen, aber auch vom Restaurant aus dem Grätzel oder von jedem privaten Haushalt stammen, der die Lebensmittel oder Speisen nicht selbst konsumieren kann. Österreichweit gibt es bereits 53 Fairteiler die seit 2013 mithilfe von 1.300 Freiwilligen aufgebaut wurden.

Eine weitere Initiative ist „Unverschwendet“, sie kümmert sich um Lebensmittelüberschüsse von Bauern und privaten Obst- und Gemüsegärten. Alles was sonst keine Verwendung gefunden hätte wird zu Marmeladen, Chutneys und Pestos verarbeitet.

Das Catering-Unternehmen „Iss mich“ kocht gleich die überschüssigen Lebensmittel, die von Partnern der Industrie zu Verfügung gestellt werden und liefert fertige Mahlzeiten als Mittagsessen oder Catering an seine Kunden aus.

Auch „Hut Und Stiel“ hat eine überaus kreative Lösung für überschüssige Lebensmittel parat. Das Start-Up aus Wien verwendet biologischen Kaffeesud von einer Bäckereikette und zieht darauf biologische Austernseitlinge, in einem Keller im 20. Bezirk in Wien. Kaufen kann man die frischen Speisepilze auf städtischen Märkten, man bekommt sie aber auch in ausgewählten Restaurants serviert.

Die kleine Aufzählung, die längst keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, zeigt, was mit ein wenig Mut und Fantasie möglich ist um der Lebensmittelverschwendung Einhalt zu gebieten. Und für alle, die am Thema Interesse gefunden haben, haben wir nachfolgend einige weiterführende Informationen und Links zusammengestellt, die es einfacher machen sollen, sich zu engagieren.

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Quellen:

Initiative Mutter Erde: Lebensmittelverschwendung in Österreich
The food waste paradox from a critical discursive perspective (Constanza Hepp; Lund University – Human Ecology Division, Department of Human Geography; 2016)

Linktipps:

gesund.co.at sponsert Lebensmittelretter foodsharing.at
Foodsharing.at – Lebensmittel teilen statt wegzuwerfen
www.unverschwendet.at – Köstlichkeiten im Glas aus überschüssigem Obst & Gemüse
www.hutundstiel.at – Zucht von Speisepilzen auf Kaffeesud
issmich.at – eat it, don’t waste it
Brot, Schweiß und Tränen – das große Geschäft mit Backwaren
Street Harassment – die vielen Gesichter der alltäglichen Belästigung