Von Nikolai Atefie
Die Industrialisierung der Landwirtschaft ist der Untergang der kleinen Bauernhöfe. Jason und Michele Nunn sind trotzdem unter die Gemüsebauern gegangen und es funktioniert. Seit der Coronaepedemie sogar fast noch besser. Ein Beitrag über einen Hoffnungsschimmer in ungewöhnlichen Zeiten, jenseits verklärter Bauernromantik.
Hektik & Hofhilfen
Es sind hektische Tage Anfang April am Bauernhof „Colourful Greens“ in St. Radegund bei Graz. Gemüse muss angesät, Jungpflanzen aufs Feld gesetzt werden. Nebenbei wird das Glashaus ausgebaut und auf die Kinder muss auch jemand schauen. Die Großeltern im ersten Stock fallen aus bekannten Gründen aus. Zwei bunte Städter haben sich hier gegen den Trend für ein Leben mit schwarzen Findernägeln, langen Arbeitstagen und viel jungem Gemüse entschieden. Sie bereuen nichts.
Platsch. Jason Nunn klopft mit einer Malerstange gegen das Plastikdach des Gewächshauses, „otherwise it will rain on us instead,“ sagt er. Große Tropfen Kondenswasser fallen in einem Schwall auf die zarten grünen Triebe. Was genau sich da entwickelt kann man nur von den Stecketiketten ablesen, zu ähnlich sind sich die Keimblättchen der Neugeborenen.
Auf nur 40 Quadratmeter strecken sich eindrucksvolle 5.000 Gemüseschwestern und Brüder genüsslich in Richtung Sonne, Platzangst dürften die kleinen Paprikas, Chilis und Tomaten, letztere sind mit stolzen 30 Sorten vertreten, nicht haben. Dass das Tauabklopfen in seinem eigenen Glashaus am anderen Ende der Welt einmal zu seiner Morgenroutine gehört hätte sich der 42-jährige Australier wohl nicht in seinen kühnsten Träumen vorstellen können.
Als der gelernte Flugzeugmechaniker aus Melbourne 2006 auf Weltreise auch in Österreich stoppte, wollte er eigentlich nur kurz Alpenluft schnuppern. In der Steiermark ist ihm dann aber das Geld ausgegangen, also jobbte er sich als Bartender durch die grüne Mark um genug zusammenzusparen und schnell wieder aus dem Land der Berge wegzukommen. Und dann kam alles ganz anders. An einem seiner letzten Arbeitstage im „3 Monkeys“, „a meat market“, wie er die berühmte Grazer Studentenbar beschreibt, hat ihm eine Frau den Kopf verdreht.
„Die Müchöö“, sagt Jason, der mittlerweile besser Steirisch bellt als so mancher Grazer, war allerdings „mehr als nur a Gspusi“. Das wusste er schon nach einer Woche, da ist Jason nämlich bei ihr eingezogen. Aus Michele Knapp wurde rasch Michele Nunn und spätestens als sich der erste Sohnemann ankündigte war ihnen klar, die Nunns gehören aufs Land, artgerechte Kinderhaltung geht in der Stadt nicht.
Ahnungslos ins Glück
2016 war es dann so weit, eine alte willersdorfer Buschenschank in der Nähe des Luftkurorts Sankt Radegund bei Graz wurde renoviert, der erste Stock für Micheles Mutter und dessen Lebensgefährten hergerichtet. Der heute 5-jährige Peter bekam mit Schwesterchen Valerie eine Spielgefährtin, Michele und Jason hatten gutbezahlte Jobs in der Stadt, das Glück war perfekt, so hätte es bleiben können. Doch dann stand eines Tages der Nachbar vor der Tür. „Er hat uns angeboten sein Feld zu pachten,“ erzählt Michele.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass gut kochen und essen für die Familie Nunn mehr als nur eine Leidenschaft ist. Die euphorische Vorstellung eigenes, frisch geerntetes, hochwertiges Gemüse zu fermentieren und zu schnabulieren hat sich letztendlich gegen die Bedenken durchgesetzt. Also wurden die Jobs gekündigt, trotz Krediten, ganz oder garnicht. „Im schlimmsten Fall brechen wir ab und suchen uns wieder eine Anstellung.“
Seit 2017 bewirtschaften die beiden Städter rund 5.600 Quadratmeter Fläche als Autodidakten im Einklang mit der Natur. „I had no idea about growing vegetables,“ schmunzelt Jason während er im Glashaus die Anzuchterde zwischen seinen Fingern verreibt. Humusschicht sei für ihn eine dicke Auflage pürierte Kichererbsen am Jausenbrot gewesen, kein Fachbegriff für fruchtbaren Boden. Ein Teil des Feldes wurde zur Streuobstwiese mit Äpfel, Birnen, Kirschen, Pfirsiche umfunktioniert, dieses Jahr könnten die ersten Bäume blühen.
Das Herzstück von „Colourful Greens“ ist aber das 2.200 Quadratmeter kleine Gemüsefeld. Hier werden jedes Jahr zwischen bunten Blühstreifen über 80 verschiedene Gemüse- und Kräuterarten mit hunderten unterschiedlichen Sorten angebaut. Im Sommer tummeln sich dort dann seltene grüne Rattenschwanzrettiche, die eher nach Fisolen aussehen, neben Eiskraut, dessen prächtige Blätter an Kristalle erinnern, und Melotria (wachteleigroße Zwerggurken) .
Kooperation statt Konkurrenz
Weit über 1.000 kleinstrukturierte Landwirtschaften schließen jedes Jahr für immer ihre Tore. Von den oft lebensnotwendigen EU-Förderungen profitieren durch das Gießkannenprinzip vor allem große Betriebe, die Gelder fördern letztendlich mehr die Industrialisierung als den Bauern. Für kleine bleibt zu viel Arbeit für zu wenig Geld, es heißt: wachsen oder sterben. Aber das Wachstum hat auch seinen Preis. Große Flächen brauchen auch große Maschinen, ausgelaugte Böden müssen oft mit teurem Kunstdünger genährt werden.
Monokulturen sind obendrein krankheitsanfällig und müssen meistens mit höchst bedenklichen chemisch-synthetischen Mitteln „geschützt“ werden. Ein befreundeter Bauer, erzählt Michele, habe gerade in einer kalten Frühlingsnacht hunderte Frostkerzen verwendet um die Blüten seiner Marillenbäume zu schützen, vergebens. Tausende Euros sind verbrannt und Marillen wird er dieses Jahr auch keine Ernten. Wieso aber schaffen die Nunns etwas auf wenigen tausend Quadratmetern was andere auf etlichen Hektar zum Verzweifeln bringt?
Die Nunns machen es anders. „Die Vielfalt ist unsere Versicherung,“ sagt Michele. „Wir haben so viele unterschiedliche Kulturen in verschiedenen Entwicklungsstadien am Feld, wenn uns der Hagel die Zucchini zerschmettert haben wir immer noch unser Wurzelgemüse.“ Mit ein bisschen Übung würde sich auch der Aufwand und das finanzielle Risiko in Grenzen halten, das ginge sogar ohne Agrarförderungen.
„Die Fläche ist gerade klein genug um alles mit der Hand zu machen wir brauchen keine teuren Traktoren und haben trotzdem eine reiche Ernte.“ Die Familie mussten sogar einen speziellen Antrag bei der Landwirtschaftskammer stellen um mit ihrer kleinen Fläche Mitglied werden zu können. Dabei soll dieses Jahr fünf bis sieben Tonnen Gemüse auf den nur 2.200 Quadratmeter geerntet werden, wenn alles nach Plan läuft können es nächstes Jahr sogar zehn Tonnen werden.
„Das wichtigste Erfolgsrezept unseres Projekts sind Flexibilität und die vielen guten Geister in der Region. Wir haben keine Tiere, das erleichtert vieles, lässt auch Pausen zu, theoretisch zumindest“ lacht Michele. Im Dreigestirn Weinitzen, Kumberg und Radegund, nordöstlich von Graz, würde gefühlt jeder helfen wo er oder sie kann um das Gemeindeleben ein bisschen besser zu machen, hilfsbereite Nachbarn, fortschrittliche Gemeindepolitiker, innovative Unternehmer.
Einer davon ist Georg Loder, Inhaber des seit 1875 in fünf Generationen bestehenden gleichnamigen Kaufhauses in Kumberg. „Der Georg ist immer bei allem dabei, probiert aus und sieht in Menschen vor allem Partner, keine Konkurrenten.“ Das würde sich auch darin zeigen, dass der große wöchentliche Bauernmarkt auf seinem Parkplatz stattfindet obwohl er selbst vor allem regionale Lebensmittel verkauft. Sein Adeg-Partnermarkt „belebt den Ort, und trägt zur Attraktivität des Ortslebens bei“ befand auch die steirische Wirtschaftskammer die ihn im Herbst mit dem Unternehmerpreis Merkur auszeichnete.
Auch die Wertschöpfung ist bei den Nunns eine andere. Während größere Betriebe ihr Gemüse oft an Supermärkte und andere Zwischenhändler liefern, verkaufen die Nunns ihre Ware direkt am Bauernmarkt, in Kumberg, Weinitzen und bald in einem eigenen regionalen Bauernladen in Radegund. So kommt jeder umgesetzte Euro bei denjenigen an, die meisten dafür arbeiten.
In den letzten Monaten kooperierte Jason auch mit Biobauern in Umgebung weil durch das jüngste Familienmitglied Rosemary der Winteranbau zu kurz gekommen und der Bedarf zu hoch ist. Zum Vergleich: Ein Apfelbauer bekommt am Markt pro Kilo rund 1,50 Euro, den großen Handelsriesen müsste er um den gleichen Betrag zu erwirtschaften knappe zehn Kilo verkaufen. Wer ohne eigene Vermarktungsstruktur zu schnell wächst liefert sich dem Preisdruck des österreichischen Supermarktoligopols aus.
In der Vielfalt liegt die Kraft
Es ist aber keineswegs nur frisches Gemüse das Jason am Markt verkauft, es sind vor allem die kreativen Produkte von „Colourful Greens“ die die Menschen anziehen. Dazu zählen Wildkräuteraufstriche auf Joghurt- und Topfenbasis, Eingemachtes und Fermentiertes. Michele’s Rhabarbachutney, das neben den obligatorischen Zwiebeln mit gedörrten Zwetschgen und Zimt abgerundet wird, ist ein absoluter Kassenschlager.
Auch Kräutersalze, zum Beispiel mit dem intensiv nach Gurke schmeckendem Kleinen Wiesenknopf, sind sehr beliebt. Die zarten Glasröhren mit schickem Holzstoppel sind in den Nachbarorten mittlerweile ein beliebtes Mitbringsel bei Familienfeiern und Festen.
„Wir machen immer was neues, auch wenn das am Land manchmal ein harter Kampf ist,“ erzählt Michele, die auch diplomierte Kräuterpädagogin ist. „Die erste Reaktionen auf unsere Fermente von den Marktkunden war ‚des is aba ka Sauerkraut‘, was natürlich stimmt, weil mit den Supermarktpreisen könnten wir nie mithalten.“
Weißkraut wollten die Leute trotzdem. Bei „Colourful Greens“ wird es mit Dill und Zitronenschale verfeinert, oder als „Cortido“ mit Karotten, Oregano und Chili fermentiert. Ihre feingeschnittenen Zwiebelringe mit Koriandersamen und die Tomatillosalsa (eine mit Physalis verwandte Lampionbeere) sind eine Klasse für sich und könnten bei einer Blindverkostung auch dem Steirereck zugeschrieben werden.
Bei all den Erfolgen gibt es doch auch viele Herausforderungen in Sankt Radegund. „Seit November hat es nicht mehr ordentlich geregnet,“ sagt Jason mit etwas Verzweiflung in der Stimme. Staubtrockene Äcker im April hätte er sich im eigentlich so saftigen Grazer Bergland nicht vorstellen können. Auch die Quelle die das Dorf mit Trinkwasser versorgt hat schon mal bessere Tage gesehen.
Jede Wasserentnahme muss wohlüberlegt und abgesprochen sein, sonst bleiben die Wasserhähne der Nachbarn leer. Die notgedrungene Bewässerung ist auch sehr aufwendig, Tonnen müssen gefüllt und mit dem Anhänger zum Feld gebracht werden. Dort muss der junge Spinat und die Asiasalate händisch gegossen werden, wartet man zu lange, schalten sie auf Überlebensmodus und beginnen, wenn überhaupt, erst später in der Saison wieder zu wachsen.
In Zukunft wollen Michele und Jason deshalb Schafwolle von den steirischen Schafbauern einsetzten. Sie speichert nicht nur verlässlich Wasser sondern hält auch die Nagetiere fern, Wühlmäuse mögen den Schafgeruch nicht. Letztes Jahr haben sie fast den gesamten Paprika- und Chilibestand zerstört. Die Nager stehen auf das Samengehäuse und beißen sich selbst durch die schärfsten Beeren (Schoten sind sie im botanischen Sinn nicht).
Krise & Kraft
Zur Zeit bekommt Michele, so berichtet es ihr Smartphone, 377 Whatsapp-Nachrichten am Tag, minütlich treffen Bestellungen für Jungpflanzen ein. „Die Eigendynamik der letzten Jahre war echt unglaublich“ sagt sie erschöpft. Die Nachfrage nach heimischem Gemüse sei in den letzten Wochen enorm gestiegen, der Umsatz auf den Märkten habe sich verdreifacht. Vor drei Wochen wurde auch ein Lieferservice gestartet, jede Woche müssen nun auch 40 Gemüsekisten gepackt und ausgeliefert werden.
Bloß mit geschlossenem Kindergarten kann immer nur einer der Erwachsenen arbeiten, der andere muss Windeln wechseln, kochen und sich um streitende Geschwister kümmern. Deshalb würde man sich über Hilfe freuen. Freiwillige Helfer werden, auch nur tageweise, warm empfangen. Wer länger bleiben möchte kann in einem getrennten Appartement übernachten, beim Aufwachen blickt man an klaren Tagen bis nach Kroatien.
In Zeiten wo sich jeder Satz um das Wort mit C dreht kann ein solcher Aufenthalt nur mit bestem Gewissen empfohlen werden. Viel frische Luft hilft den aktuellen Wahnsinn beiseite zu schieben, gleichzeitig hilft man den Kleinstbauern bei der Lebensmittelproduktion und wird damit selbst Teil der systemrelevanten Infrastruktur. Das bunte Treiben am Hof der Familie Nunn erinnert daran was leicht in Vergessenheit gerät.
Zusammenhalt in der Familie, liebe Freunde, frische Lebensmittel und ein Dach über dem Kopf, das ist gutes Leben.
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Bezugsquellen:
Vielfaltsgärtnerei Colourful Greens
Bauernmärkte Freitags 11.30 bis 14 Uhr in Weinitzen
Samstags 07.00 bis 11.00 in Kumberg
Ab Sommer: Bauernladen mit regionalen Produkten in St. Radegund
Fermentiertes auch bei „Wilde Genüsse“ am Kaiser-Franz-Josef Markt in Graz
Interessierte und Freiwillige (auch Paare) können sich gerne melden. Geboten werden neben Kost & Logie auch Wissen über Gemüseanbau, Wildkräuter und Lebensmittelverabeitung.
Email: [email protected] oder via Facebook
Genusstreffpunkt Höfer
verkocht Gemüse, Kräuter und Blüten der Familie Nunn
Adresse: Höhenweg 22, 8044 Fölling
Kaufhaus Loder
Nahversorger mit regionalen Spezialitäten
Adresse: Meierhöfenstraße 1, 8062 Kumberg
Büchertipps:
Bio-Gemüse erfolgreich direktvermarkten von Jean-Martin Fortier (das wär das wichtigste)
Das neue Dorf von Ralf Otterpohl
Linktipps:
– Kitsch & bitter – vom Leben auf der Alm
– Experiment Selbstversorger
– Nachhaltiger Genuss: BIO ohne Schmäh
– Die besten Schmankerlhersteller – Obst – Gemüse – Kräuter
Fotocredit: Bilder von Nikolai Atefie