Von Kave Atefie
Ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben in der Natur, möglichst viel frische Luft und wenige äußere Zwänge, das waren die Beweggründe von Lisa und Michael das „Experimenr Selbstversorgung“ zu starten. Klingt idealistisch, ist es auch, doch ihr Mut und Einsatz macht Schule und begeistert eine immer größer werdende Schar an Menschen, der auch das wachsende Angebot an Biolebensmittel nicht mehr ausreicht um den von ihnen gewünschten radikalen Wandel in der Nahrungsmittelproduktion voranzutreiben. Auch wenn die private Beziehung der beiden längst Geschichte ist, entwickeln sie das Projekt gemeinsam weiter und mehr als 75.000 Follower auf Facebook beobachten sie dabei. Wir haben Michael Hartl zum Interview gebeten um einen Blick hinter die Kulissen des – ursprünglich bloß als Blog-Projekt angelegten – Experiments zu erhalten.
Interview
Die Bezeichnung „Experiment Selbstversorgung“ gibt zwar einen klaren Hinweis, lässt aber auch Spielraum für allerlei Interpretationen, also worum geht’s in eurem Projekt?
Das Experiment Selbstversorgung ist ein Blog-Projekt, das von mir und einer guten Freundin von mir, Lisa Pfleger, die mit ihrem Lebensgefährten ganz in der Nähe von mir wohnt, gestartet wurde. Mittlerweile schreiben einige Autorinnen und Autoren mehr auf dem Blog. Dort versuchen wir Einblicke in unsere Leben zu geben, wenn es um Themen wie Gärtnern, Selbermachen (DIY), Wildnisskills, Naturverbindung, ökologisches Bauen und so weiter geht. Auch versuchen wir am Blog gesellschaftliche und politische Themen anzuschneiden. Das Experiment Selbstversorgung soll Ideen geben, zum Träumen einladen und auch mal den Anstoß geben, etwas praktisch umzusetzen.
Bevor wir weiter inhaltlich ins Detail gehen, würden wir uns über ein paar Infos über dich freuen. Michael, bitte um ein paar Hardfacts aus deiner Vita. Woher kommst du, welche Ausbildung hast du, wo hast du gelebt bevor du das Projekt gestartet hast und wovon lebst du heute?
Ich komme gebürtig aus Bayern, bin seit fast 10 Jahren in Österreich, habe die Ausbildung zum Mechatroniker begonnen und die zum Mediengestalter beendet, habe bis zum Beginn des Blogs, der ja mit einem Umzug aufs Land startete, viele Jahre in Wien gelebt und lebe heute wirtschaftlich von meiner Selbständigkeit im Bereich digitaler Kommunikation und Social Media.
Ihr gebt das Südburgenland auf eurem Blog als Homebase an, zweifellos ein wunderbares Fleckchen Land, das zunehmend von Wienern, Salzburgern und Tirolern „entdeckt“ wird. Die Gründe dort sind vergleichsweise günstig, die Sonntage zahlreich, erzählt uns etwas mehr über die Örtlichkeit und warum ihr gerade dort seid.
Das Leben spielt seine Spiele und geht seine ganz eigenen Wege, denke ich. Die Kunst ist, die Rahmenbedingungen richtig zu stellen – aber die meiste Zeit einfach, sich hinzugeben. Chancen gehören gesehen und dann auch entschlossen wahrgenommen. Und als mir ein guter Freund das Grundstück und Haus, in dem ich mit meiner Lebensgefährtin Antonia lebe, zeigte, wollte ich direkt hier leben. Und so kam es dann ja auch! Lisa hat mit Ihrem Partner ein Grundstück ganz in der Nähe.
Einfach Schritte setzen, selbst wenn die einen weg führen vom gewohnten sozialen Umfeld, mitten ins Nirgendwo, wo nicht viel geboten wird – aber wo ich mich in einem mir wichtigen Bereich ausdrücken und verwirklichen kann. Und die Natur und Sonne und so weiter sind ja eh klar – dafür ist das Südburgenland doch bekannt.
Euer Projekt „experimentselbstversorgung.net“ ist in sozialen Medien ein richtiger Kracher – ihr habt allein auf Facebook über 75.000 Follower, das ist für eine österreichische Seite mehr als beachtlich. War damit in irgendeiner Form zu rechnen? Immerhin scheint es ja der überwiegenden Mehrheit der Konsumenten ziemlich egal zu sein, woher die Lebensmittel, die sie täglich beziehen kommen und unter welchen Umständen sie produziert wurden.
Nein, damit haben wir weder gerechnet, noch war das am Anfang geplant. Wir fanden es einfach praktisch für Menschen, die mitbekommen wollten, wenn es einen neuen Artikel gibt. Damals hatten wir noch keinen kostenlosen Artikel-Newsletter. Aber fein ist es, dass es jetzt so viele Menschen interessiert.
Ob es wirklich so ist, dass es den meisten Konsumierenden egal ist, woher die Lebensmittel kommen und wie sie produziert wurden, weiß ich nicht. Vielleicht wird das negativer dargestellt, als es ist? Ich bin aber überzeugt davon, dass manche Menschen gar nicht die wirtschaftliche Möglichkeit haben, da viel Auswahl zu treffen. Und viele andere gar nicht so genau wissen, woher die Sachen kommen oder wie Lebensmittel hergestellt werden. Die Informationen zu verbreiten und hier wieder Wissen zu vermitteln und Erfahrungen mit Lebensmittelproduktion zu ermöglichen, das ist schon etwas das mich antreibt.
Wenn man etwas genauer bei euch hineinliest, wird schnell klar, dass Selbstversorgung zwar ein interessanter Ansatz ist um der industriellen Massenproduktion und all ihrer Nachteile zu entkommen, gleichzeitig wird aber auch klar, dass es sich dabei in unseren Breiten immer um ein Nischenprogramm handeln wird. Wie viele Städter können sich schon eigenen Grund und Boden leisten, diesen regelmäßig bewirtschaften und von den Erträgen leben? Es gibt zwar genossenschaftliche Selbstversorgungsparzellen, Urban Gardening usw. doch diese Projekte haben wohl nicht das Potenzial einen relevanten Stellenwert in der Versorgung einzunehmen, oder täuschen wir uns?
Ich denke, dass genau in einer kleinstrukturierten, vielfältigen, biologischen Lebensmittelversorgung die Zukunft liegt. Das sieht selbst die für Wirtschaftswachstum und Welthandel verantwortliche Welthandels- und Entwicklungskonferenz der UN so. Von daher sollen und werden vertikale Anbausysteme, gerade auch in Städten, durchaus ihren Platz haben. Kleine, hochproduktive, naturnah wirtschaftenden Landwirtschaftsbetriebe sind der Schlüssel. Leider wird das in der Politik nicht gesehen – und daher setzen die Förderungen ganz überwiegend die falschen Anreize.
Und deshalb geht es auch beim Blog Experiment Selbstversorgung nicht in erster Linie darum, auszusteigen und sich alles selber anzubauen. Sondern wieder experimentieren, wie der Name ja schon sagt. Einfach im Kleinen was ausprobieren, Erfahrungen sammeln, verstehen – und dann auch stärker hinterfragen, was da im Großen eigentlich alles schiefläuft – und Lösungsansätze kennen, statt nur zu kritisieren.
Der unpragmatische Ansatz und die unkomplizierte Herangehensweise machen euer Projekt offenbar für viele Menschen interessant, verleitet aber geradezu ein bisschen nachzubohren. Die Idee der vollkommenen Unabhängigkeit, der Eigenproduktion von Lebensmitteln im Einklang mit der Natur ist zweifellos verlockend, aber wird da nicht einiges romantisch verklärt? Bedient ihr bloß Träume?
Wir bedienen hoffentlich auch Träume! Denn das Träumen steht an erster Stelle. Erst aus einem schönen, mich anziehenden Traum heraus entstehen Ziele und Wege, die ich als Mensch aus innerer Motivation heraus verfolge. Und klar könnte ich mir stets als erstes immer ansehen, warum es eh nicht klappen wird oder auf welche Weise es zu schön dargestellt wird, aber das machen ja viele Menschen schon so, die sich und ihr Umfeld eher bremsen. Brauche ich also nicht. Und klar schreibe ich, Lisa oder eine unserer weiteren Autorinnen und Autoren unsere Artikel aus einem sehr positiven Blickwinkel. Weil für uns alle diese Themen eben positive, schöne Themen sind – und wir ja immer wieder so gute Erfahrungen mit unseren jeweiligen Lebenswegen und Ansätzen machen.
In wie weit würdet ihr euer Projekt als „politisches Konzept“ betrachten? Ihr behandelt ja auch Themen wie „Gemeinwohlökonomie“, „Grundeinkommen“, „Tauschwirtschaft“ usw.
Klar ist der Blog, und auch viele unserer Projekte an den unterschiedlichen Lebensorten, politisch. Es geht um ein materiell genügsameres Leben, in dem mehr Zeit für Freude ist, für entspannte Aufenthalte in der Natur und fürs Anbauen eigener Lebens- und Heilmittel. Gar nicht zu 100% – aber wenn die Masse der Menschen wieder lernt, wie wir uns selbst die Grundlage unseres Lebens erschaffen können, wie wir Saatgut vermehren, wie wir mit alten Handwerken vieles wieder selbermachen können, dann ermächtigen wir uns als Bürger*innen und werden stabiler, was die Zukunft angeht und stärker, was unsere Position im Spiel zwischen Politik, Wirtschaft und Bevölkerung angeht.
Projekte wie eures zeigen, dass ein Umdenken in der Gesellschaft längst eingesetzt hat, gleichzeitig wird die Industrie immer dreister bei der Wahl ihrer Produktionsmittel. Bald müssen 8 Milliarden Menschen ernährt werden, wen wundert da der massive Einsatz von künstlichen Aromen? Die Meere sind überfischt, die Produktion von Fleisch verschlingt unendlich Ressourcen, ist daher die Entwicklung von Lebensmitteln, die ihren Ursprung nicht mehr in der Natur haben – Stichwort Kunstfleisch – überhaupt zu verhindern?
Wir gestalten uns doch als Gesellschaft selbst die Zukunft, in der wir leben möchten. Wir können entscheiden, welche Produkte wir kaufen und wir können entscheiden, wen wir wählen. Beides ist natürlich nur insofern frei, als wir weder eine unbegrenzte Auswahl haben, noch ein unbegrenztes Budget. Aber sich selbst als reines Opfer zu sehen oder schlimmer noch als Marionette, das liegt mir nicht. Und das stimmt auch in ganz vielen Fällen einfach nicht.
Wer jetzt sofort etwas anderes haben will, baut wenigstens einen Teil selbst an. Oder kauft über selbstverwaltete Foodcoops, also Lebensmittelkooperativen, die nur von regionalen Landwirtschaftsbetrieben zukaufen. Oder schließt sich einer solidarischen Landwirtschaft, einem CSA-Betrieb, an. Um nur einen klitzekleinen Ausschnitt der vielen Möglichkeiten zu nennen.
Wie seht ihr in diesem Zusammenhang den Trend in Richtung vegane Ernährung? Auch dabei wird viel Schindluder betrieben, auch hier ist die Industrie schon aufgesprungen, liefert wöchentlich neue vegane Produkte, deren Inhaltsstoffe nicht selten hochentwickelten Laboren entspringt, die aber mit der ursprünglichen Idee nichts mehr gemein haben. Dafür können sie Zertifizierenden vorweisen und Garantien abgeben …
Die Frage ist ja, was die jeweilige Person selbst als Motivation hat, vegan zu leben. Wenn die dahinterliegende Idee eine gesundheitsorientierte ist, werden verarbeitete Produkte es eh schwer haben. Wenn jemand als Motivation aber zum Beispiel Tierrechte hat, dann macht es in dem Fall doch keinen Unterschied, ob das Produkt verarbeitet ist oder nicht.
An und für sich begrüße ich jeden Trend, der mehr Menschen mit einer guten Idee in Berührung bringt. Weil er Angebote verändert, alleine schon was sich in der Gastronomie getan hat, und damit Einstiegshürden in einen anderen Lebensstil absenkt. Und ein Teil der Menschen wird sich dann tiefer mit der Idee beschäftigen, die zunächst „nur“ ein Trend war.
In eurem Blog behandelt ihr auch gesundheitsrelevante Themen, beschäftigt euch mit alternativen Heilmitteln, Kräutern usw. Bei manchen Kommentaren dazu schimmert die Nähe zu esoterischen Ansätzen durch. Ist das ein Problem für euch, oder gilt das Prinzip Eigenverantwortung?
Die Kommentare werden ja von Leser*innen geschrieben. Da haben wir als Blog ganz klar die Position der Meinungsfreiheit. Kommentare die nicht beleidigen oder menschenverachtendes beinhalten, werden auch veröffentlicht. Sollte da mal jemand Dinge empfehlen, die direkt gesundheitsgefährdend sind, würde ich es wohl auch nicht freischalten. Aber Esoterik gehört eben zu unserer Gesellschaft dazu, egal was ich oder du davon halten.
Ihr schafft mit eurem Projekt den Spagat zwischen realer und digitaler Welt ziemlich beeindruckend, ist es mittlerweile auch ein kommerzielles Projekt geworden, immerhin schreibt ihr Bücher, macht Veranstaltungsreihen? Es besteht auf der Website auch die Möglichkeit zu spenden, erzählt uns ein bisschen mehr zum Themenkomplex „Geld“.
Klar, mit den beiden Büchern, die Lisa geschrieben hat, konnte sie auch etwas verdienen und wir planen für nächstes Jahr nun die erste Veranstaltung, die auch etwas kosten wird. Somit sind wir gerade an der Schwelle dazu, zwar nicht direkt, aber um die Ecke über den Blog auch etwas zu verdienen. Was aber auch ok ist, nachdem wir die ersten Jahre ausschließlich Geld reingesteckt haben.
Geld an sich halte ich im Prinzip erstmal für eine Möglichkeit, sich einen Ausgleich zu ermöglichen. Wenn ich mich monatelang hinsetze und Wissen und Ideen in Buchform bringe, dann können mir andere mit dem Kauf des Buches ermöglichen, dass ich in der Zeit des Schreibens notwendiges kaufen kann und so weiter. Geld ist ja nichts anderes als eingetauschte Lebenszeit – und somit ist Geld im Prinzip dazu da, einen Energieausgleich zu geben.
Das Geld heute nicht mehr nur ausschließlich das ist, sondern auch einige kritikwürdige Eigenschaften bekommen hat, ist ein anderes Thema. Vom Prinzip her nutze ich aber Geld natürlich ganz normal und freue mich, wenn wir uns damit gegenseitig ermöglichen, unsere Träume zu verwirklichen.
Wenn nun jemand Interesse an Eurer Idee und dem Projekt gefunden hat, welche zwei Artikel eures Blogs würdet ihr Einsteigern als erste Lektüre empfehlen?
Hm, kommt auf deine Interessen an. Der absolute Grundlagenartikel ist sicher Unsere Vorstellungen einer lebenswerten Zukunft. Ansonsten findest Du auf der Startseite unter experimentselbstversorgung.net die derzeit am meisten gelesenen Artikel.
Wir bedanken uns für das Gespräch.
Linktipps:
– Die Kleinstbauern
– Kitsch & bitter – vom Leben auf der Alm
– Nachhaltiger Genuss: BIO ohne Schmäh
– Aromastoffe – unser „aromatisiertes“ Leben
– Der Kampf gegen Lebensmittelabfälle trägt langsam Früchte