Von Kave Atefie
Immer mehr Menschen suchen den Absprung aus dem konventionellen Erwerbsleben. Hektik, permanenter Stress und chronische Erkrankungen sind oftmals der Grund für den Wunsch nach einer alternativen Lebensform. Doch mit dem klassischen Hippietraum der Aussteiger aus den 1960er/70er und 80er Jahren hat das wenig zu tun. Marlene Loidl etwa hat die Karriereleiter gegen die Almhütte getauscht und diese Entscheidung bisher nicht bereut. Die Arbeit ist hart aber sinnvoll – am Ende des Tages weiß sie, was sie gemacht hat.
Nachdem Marlene – die Schwester einer persönlichen Bekannten von mir – sich bereits voll in den Vorbereitungen für die neue Saison auf der Alm befunden hat, habe ich mit ihr ein E-Mail-Interview geführt. Gewünscht waren Fakten, ganz ohne Schnickschnack und verklärt-romantische Ausschmückungen, nur Fragen und Antworten.
magazin.gesund.co.at: Zuerst würde ich ein paar persönliche Angaben brauchen, wo du geboren und aufgewachsen bist, Schulausbildung und Berufswunsch und wie du dann zur Almbäuerin auf der Plankensteineralm geworden bist.
Geboren wurde ich in Bad Ischl, aufgewachsen bin ich in einem schönen Haus in Bad Goisern (3 Generationen-Haushalt) Nach der Volksschule in meinem Heimatort besuchte ich das Gymnasium in Bad Ischl und danach die Tourismusschulen Salzkammergut (ebenfalls in Bad Ischl). Nach einer kurzen Zeit in einem Hotel bewarb ich mich beim Tourismusverband Dachstein Salzkammergut (4 Orte: Bad Goisern, Gosau, Hallstatt und Obertraun). In Gosau lernte ich meinen jetzigen Lebensgefährten kennen. Er besitzt einen Bauernhof und zwei Almhütten. Ursprünglich wollte ich ein paar Jahre in Österreich Geld verdienen und dann nach Miami auswandern.
magazin.gesund.co.at: Warst du schon immer ein „Naturmensch“?
Ja, schon als Kind war ich viel mit meinen Geschwistern im Wald unterwegs, hab Bäche und Baumkrone erforscht. Ganz zu schweigen von den Tieren. Egal ob Hunde, Katzen oder Kriechtiere – keines war sicher vor mir.
magazin.gesund.co.at: Wie war die erste Saison, was vermisstest du am meisten? Wie hast du dich heute arrangiert?
In der ersten Saison war alles, wirklich alles, neu für mich. Ich hatte Angst vor Kühen und musste melken lernen. Ich hatte nur theoretisch Ahnung von der Käseerzeugung und noch nie im Leben Butter gemacht. Es ist ein ganz anderes Leben auf 1600 Meter. Keine Dusche, kein warmes Wasser aus der Leitung und kein WC. Das ist vermutlich das Schwierigste. Heutzutage ist es normal jeden Tag zu duschen und die Klospülung zu betätigen. An das altmodische „Plumpsklo“ muss man sich erst gewöhnen. Ich brauche immer ein bis zwei Wochen bis ich mich damit arrangiert habe, vor allem weil es das einzige Klo ist und ich es mit allen Gästen teile.
magazin.gesund.co.at: Wie lange bist du auf der Alm und von wann bis wann? Die wievielte Saison ist 2016?
Diese Saison ist meine vierte auf der Alm. Wir sind immer von Mitte Juni (Sommer Sonnenwende) bis Mitte / Ende September. Heuer ist unser Almabtrieb am 18. September geplant.
magazin.gesund.co.at: Nimmst du dir während der Almzeit auch „Auszeit“ in der „Zivilisation“?
Die Zeit im Tal ist sehr knapp bemessen. Ich komme zwei bis drei Mal in der Woche ins Tal. Meist erst am Abend. Ich wasche, bügle und genieße die warme Dusche. Dann geht es noch in der Nacht wieder hoch auf die Alm, denn um fünf Uhr früh ist wieder Tagwache.
magazin.gesund.co.at: Schildere bitte einen typischen Arbeitstag
Wir stehen um 5 Uhr auf, Sepp melkt die Kühe und ich mache Butter. Nach dem Frühstück fährt Sepp ins Tal und ich mache Käse. Nach dem Abwaschen bereite ich die Hütte und Terrasse für die Gäste vor. Zwischendurch wasche ich die Käselaibe, salze sie wieder und wickle sie in frische Tücher. Wenn Gäste kommen heißt es Bestellungen aufnehmen, Getränke herrichten, Essen kochen und kassieren. Gegen Abend, wenn das ganze Geschirr wieder abgewaschen ist, fange ich zum Melken an, bis Sepp wieder auf die Alm kommt. Wir machen das Heu noch mit der Hand, das heißt wir mähen mit der Sense und kehren mit einem Rechen um. Wenn alles erledigt ist schreibe ich noch etwas und falle dann ins Bett.
magazin.gesund.co.at: Wie läuft die Käseproduktion ab und wie du das Käsen erlernt hast.
Wir machen Magermilchkäse. Mit einer Zentrifuge trennen wir den Rahm von der Milch (der Rahm wird im Keller sauer – daraus mache ich dann Saurrahm-Butter). Nachdem erwärmen geben wir das Lab* dazu. Nach einiger Zeit mache ich den Bruch und lasse ihn absenken. Danach schöpfe ich die Molke ab und gebe den Bruch in die Form. Nach 24 Stunden ist der Käse so gepresst, dass er in der Form bleibt und nicht auseinander fällt. Ich salze ihn gut ein und wickle ihn in ein frisches Tuch. Der Käsekeller sorgt dann für den Rest.
Gelernt habe ich das Käse machen nach dem Prinzip: learning by doing. Sepp hat es mir ein einziges Mal gezeigt und am nächsten Morgen sagte er: „Genau wie ich es Dir gestern gezeigt habe, dann wird das schon.“ Dann ist er ins Tal gefahren und ich stand mit sehr viel Magermilch in der Milchkammer. So sicher war ich mir nicht, ob das was werden würde. Das Käse machen an sich ist nicht schwer aber den Reifeprozess zu „unterstützen“ und zu wissen, wann er welchen Reifegrad hat und wann er fertig ist, ist eine wahre Wissenschaft. Das lernt man nur, wenn man es macht.
magazin.gesund.co.at: Woher bezieht ihr das Lab zur Gerinnung? Weshalb wird Salz zugesetzt?
Wir bestellen das Lab bei einer Firma in Tirol. Da wir nur kleine Mengen Käse machen, brauchen wir nicht all zu viel Lab. Mit Salz reiben wir den Käse ein um ihn zum Einen geschmacklich etwas zu verfeinern und zum Anderen weil Salz Schimmel abhält.
magazin.gesund.co.at: Was zeichnet den Almkäse aus? Worin besteht der größte Unterschied zu industriellem Käse?
Der größte Unterschied zu industriellem Käse ist sicherlich die Menge und die händische Arbeit die dahinter steckt.
magazin.gesund.co.at: Lässt sich die Käserei kommerziell so betreiben, dass ihr davon leben könnt, oder bedarf es der Almbewirtschaftung und des Hüttenbetriebs als Ergänzung?
Der Käse ist nur das „Tüpfchen auf dem i“. Leben können wir davon nicht. Wir haben mehrere Standbeine. Wir bewirtschaften die Hütte nur die drei Monate im Sommer, daneben betreiben wir noch den Gosauer Bummelzug und betreiben Vieh- sowie Pferdezucht. Mit den Norikern fahren wir im Winter mit den Gästen Pferdeschlitten. Die Niederalm haben wir ausgebaut und wird wochenweise vermietet.
magazin.gesund.co.at: Würdest du sagen, dass dieses Leben „privelegiert“ ist, oder überwiegen doch die Entbehrungen?
Dieses Leben ist sicherlich etwas besonderes. In meinem Fall ist es das Beste, das mir passieren konnte. Ich finde es fantastisch auf der Alm und liebe die Arbeit mit den Tieren. Es gibt viele Menschen, die sich so ein Leben nicht vorstellen können, aber für mich ist es das Richtige.
magazin.gesund.co.at: Siehst du Möglichkeiten, dass euer Entwurf als „Modell“ auch für andere Bauern bzw. ehemalige Stadtenschen dienen könnte?
Wie schon gesagt, ist dies nur eines unserer Standbeine. Nur mit der Alm würde sich der Lebensunterhalt nicht verdienen lassen.
– D.h. gibt es in Oberösterreich und Salzburg überhaupt noch genügend derartiger Plätze, die eine solche Bewirtschaftung möglich machen würden?
Es würde genügend Almen geben, allerdings ist die Nachfrage aufgrund des Arbeit-Verdienst-Verhältnisses nicht besonders groß. Es gibt einige, die ein paar Wochen mithelfen wollen, aber eine Alm auf eigenes Risiko zu pachten ist eine ganz andere Geschichte.
magazin.gesund.co.at: Die Nachfrage nach eurem Käse dürfte ja groß sein, wie groß ist die Verlockung oder der Druck zu „schummeln“?
Gar nicht. Ich freue mich, wenn die Nachfrage groß ist und der Käse gut ankommt aber wenn die Käse verkauft sind, ist das eben so. Ich habe nur ein paar Kühe auf der Alm, die geben einfach nicht mehr Milch und das ist auch gut so. So ist und bleibt der Käse etwas Besonderes. Zum Anderen ist schummeln nicht so leicht möglich, weil sich unser Käse von den kommerziell hergestellten im Geschmack sehr stark unterscheidet. Unsere Stammkunden würden das sofort merken.
magazin.gesund.co.at: Wie sieht es im Zusammenhang mit der Produktion mit dem Thema „bio“ aus? Ist dies überhaupt noch ein sinnvolles Prädikat oder Augenauswischerei,
die längst nur mehr den industriellen Anbietern hilft?
Beim Thema „bio“ steht die Bürokratie im Vordergrund. In einem so kleinen Rahmen wie wir die Milchwirtschaft auf der Alm betreiben steht dies nicht zur Debatte. Wir selber haben Mutterkuhhaltung also selber keine Milchkühe mehr. Wir bekommen die Kühe eines befreundeten Bauern, welcher auch ein Weiderecht auf der Alm hat. Dazu kommt noch, dass unsere Abnehmer wissen, dass die Kühe den ganzen Sommer draußen bleiben dürfen, keinen Stress ausgesetzt sind und nur das beste Futter bekommen, da sie, bis auf die Stallzeiten morgens und abends, auf der Alm grasen dürfen. Ich würde sagen noch mehr bio geht nicht!
magazin.gesund.co.at: Seid ihr Mitglied regionaler Vermarkter oder Bewegungen wie etwa „Slow Food“?
Wir verkaufen nur direkt ab Hof bzw. ab Alm. Für eine weitere Vermarktung haben wir zu wenig von dem Käse.
magazin.gesund.co.at: Was wäre dein Wunsch/Forderung an Interessensvertreter bzw. Politik um Almen zu schützen bzw. Almwirtschafter zu fördern.
Die Almen werden gefördert. Das Problem ist das Große und Ganze. In unserer Region sind die Höfe und dazugehörigen Flächen zu klein um Vollerwerbsbauer zu sein, d.h. jeder muss arbeiten gehen und sobald man arbeiten geht, hat man für eine Alm keine Zeit mehr.
magazin.gesund.co.at: Wo siehst du die größte „Gefahr“ (Bürokratie, EU-Verordnungen, Tourismus)
Die Bürokratie und Verordnungen sind ein großes Hindernis. Durch die Vereinheitlichung ist die Gefahr sehr groß, dass die Kleine durch den Rost fallen. Es hat einen Grund warum jedes Jahr Almbauern aufhören oder Höfe nicht weitergeführt werden.
magazin.gesund.co.at: Hast du Kontakt zu anderen Almbetreibern und/oder Jungbäuerinnen? Besteht irgendwie ein Austausch?
Unsere Nachbaralm wird auch bewirtschaftet, allerdings ohne Milchwirtschaft. Natürlich haben wir Kontakt und freuen uns über gegenseitige Besuche. Es ist immer wieder schöne mit jemanden zu sprechen, der weiß, wie das Leben da oben ist. Es ist genauso schön, wie auch hart.
magazin.gesund.co.at: Wie hat sich deine Familie mit deiner Entscheidung getan?
Anfangs war meine Familie geschockt. Es hätte niemand damit gerechnet, dass ich das tatsächlich durchziehen würde aber inzwischen haben alle gemerkt, dass es mich glücklich macht, und das es genau das ist, was mir liegt.
Zukunft am Berg – Aufsteigen statt Aussteigen
Auch Mikela und Patrick Endl haben sich für ein Leben auf der Alm entschlossen. Sie haben die auf 1.738 m hoch gelegenen Gjaidalm im oberösterreichischen Dachsteinmassiv gepachtet und bewirtschaften die recht große Almhütte seitdem Sommers wie Winters. Ihr Konzept unterscheidet sich allerdings doch ziemlich von jenem Marlenes. Beide bringen die Erfahrungen ihrer ehemaligen Berufe ein und nutzen sie für ein Angebot, das man an diesem Ort eher nicht vermuten würde. Angeboten werden neben klassischen Erlebnis-Events auch Singel-Treffs für Outdoorbegeisterte, Yoga-Seminare und Themenworkshops, selbst Lesungen finden in unregelmäßigen Abständen statt.
Auch wenn das Paar das Almleben etwas anders interpretiert, führen auch sie den dringenden Wunsch nach nachhaltiger Veränderung als Motiv für ihre Entscheidung an. Als größten Mehrwert empfinden sie die Möglichkeit, dass ihre Tochter in einer Umgebung von Naturliebhabern und Freigeistern aufwachsen kann und damit die optimale Basis für kreative Entwicklung und Eigenverantwortlichkeit vorfindet.
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* Lab ist ein Enzym, das aus den Mägen von Kälbern im milchtrinkenden Alter gewonnen, und zum Ausfällen des Milcheiweißes bei der Herstellung von Käse verwendet wird. Schon in geringsten Mengen löst es in der Milch den Gerinnungsvorgang aus und zwar ohne dass Milchsäure gebildet und die Milch sauer wird. Lab kann mittlerweile aber auch technisch hergestellt werden: dieses mikrobielle Lab wird nicht aus Kälbermägen, sondern mit Hilfe von speziellen Schimmelpilzen in Fermentern hergestellt und ist für Vegetarier geeignet.
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