Von Birgit Weilguni
Die Natur liefert eine unendliche Menge Heilstoffe, die auf unterschiedlichste Weise genutzt werden, in vielen Fällen auch per Selbstmedikation. Manchmal wäre es jedoch ratsam, einen Arzt oder Apotheker zu konsultieren, denn die Natur wirkt unter Umständen anders oder intensiver als erwartet.
Phytopharmazie ist eine Fachrichtung der Arzneimittellehre, die sich mit der Erforschung und Herstellung von Arzneimitteln mit pflanzlichen Wirkstoffen befasst. Wesentlicher Charakter von Phytopharmaka ist, dass sie Vielstoffgemische sind, also normalerweise Hunderte Substanzen beinhalten, von denen manche stark wirken und andere weniger. Das unterscheidet sie auch von chemisch-synthetisch hergestellten Arzneimitteln, die in der Regel nur einen Wirkstoff umfassen.
Freilich haben viele schulmedizinische Arzneistoffe wiederum ihren Ursprung in der Natur – man denke nur an das Schmerzmittel Morphin, das aus Schlafmohn gewonnen wird, das Herzmittel Digoxin, ein Extrakt aus dem Fingerhut, oder Salicylsäure (Aspirin), die ursprünglich aus Weidenrinde oder Mädesüß stammt, heute jedoch synthetisch hergestellt wird.
Was sind Phytopharmaka? Der Begriff Phytopharmaka (Singular Phytopharmakon) leitet sich von den griechischen Bezeichnungen phytón für Pflanze und phármakon für Arzneimittel ab. Ganz allgemein handelt es sich also um pflanzliche Arzneimittel. Gemeint sind zum Beispiel getrocknete Pflanzenteile, auch Arzneidrogen genannt, wie etwa Blätter, Blüten, Rinden oder Wurzeln. Diese werden häufig als Tee zubereitet, wie beispielsweise Orangenblüten mit heißem Wasser als Beruhigungsmittel. Quelle: www.pharmawiki.ch |
Besser verträglich
Naturprodukte weisen eine schwankende Qualität auf, da sie von Bodenfruchtbarkeit, Klima, Erntezeitpunkt, Art der Verarbeitung und vielem mehr abhängig sind. Phytopharmaka sind Naturprodukte und daher in ihrer Wirkweise variabel – eine signifikant bessere Wirkweise als chemisch-synthetische Arzneimittel nachzuweisen, ist schwierig. Aus diesem Grund wird heute vielfach mit Extrakten gearbeitet, um eine annähernd gleichbleibende Wirksamkeit sicherzustellen.
Die höchsten Ansprüche werden an die „rationalen“ Phytopharmaka gestellt. Ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit wird in kontrollierten klinischen Studien wissenschaftlich überprüft. Diese Phytopharmaka müssen so wie jedes andere Medikament eine aufwendigen Zulassungs- und Registrierungsprozess durchlaufen, um in den Apotheken als solche verkauft zu werden. Sie bergen grundsätzlich dieselben Risiken wie alle Arzneimittel, sind im Vergleich mit den chemisch definierten Wirkstoffen aber in der Regel besser verträglich. Unerwünschte oder Wechselwirkungen und Gegenanzeigen sind jedoch durchaus möglich und müssen aufgelistet werden.
Typische Beispiele rationaler Phytopharmaka sind Johanniskraut gegen depressive Verstimmungen, Ginkgo zur Steigerung der mentalen Leistungsfähigkeit, Traubensilberkerze zur Behandlung von Wechseljahrbeschwerden, Weißdorn bei Herzbeschwerden oder Baldrian und Hopfen zur Behandlung von Schlafstörungen.
Prüfung macht sicher?
Alle Arzneimittel – auch Phytopharmaka – müssen vor ihrer Zulassung auf Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüft werden. Da chemisch-synthetische Medikamente nur etwa gegen ein Drittel aller Krankheiten wirken, liegt es nahe, auch pflanzliche Arzneimittel einzubinden. Sie werden dann ebenfalls klinischen Studien unterzogen, sofern es sich nicht um traditionell längst erprobte Wirkstoffe handelt.
Traditionelle Arzneimittel nehmen einen Sonderstatus ein, denn sie werden lediglich registriert. Das Wissen über diese Phytopharmaka stammt aus der sogenannten Erfahrungsmedizin und muss nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden, denn ihre Wirkweise gilt auf Basis langjähriger Verwendung als nachgewiesen. Dieser Unterschied zwischen rationalen und traditionellen Phytopharmaka muss auf der Verpackung vermerkt sein. Bei Phytopharmaka haben klinische Studien oft damit zu kämpfen, dass der Gehalt der Inhaltsstoffe stark schwanken kann – zahlreiche Faktoren entscheiden über den Wirkungsgrad. Kein Wunder, dass Hersteller sich nur zögerlich an die Produktion von schwieriger zu standardisierende Arzneimittel wagen.
Die Grenzen der Natur
„Die weitaus meisten Produkte mit pflanzlichen ‚Wirkstoffen‘ sind eher im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel oder der diätetischen Mittel zu finden“, so Dr. Reinhard Länger, Abteilungsleiter in der AGES Medizinmarktaufsicht. „Deren Produktion ist nicht so strengen Richtlinien unterworfen wie jene von Arzneimitteln. Für Arzneimittel wird auch eine wissenschaftlich korrekte Information ausgearbeitet. Für jedes Arzneimittel ist eine begutachtete Fach- und Gebrauchsinformationen veröffentlicht.“
Der Vorteil eines Arzneimittels – ob nun pflanzlicher Natur oder nicht – bleibt jedenfalls, dass seine Zulassung impliziert, dass durch die Zulassung oder Registrierung bestätigt ist, dass die Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit wissenschaftlich belegt sind. „Phytopharmazeutika werden vor allem bei sogenannten Befindlichkeitsstörungen wie Verdauungsbeschwerden, Schlafstörungen oder Husten eingesetzt“, fährt der Experte fort. „Sie sind meist rezeptfrei und können eine gute Wahl sein, wenn es sich um leichtere Beschwerden handelt und eine Therapie mit stärker wirksamen Arzneimitteln noch nicht erforderlich ist. Man will ja nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen.“
In der damit verbundenen Selbstindikation stecke freilich auch eine der Gefahren, denn verschleppte oder nicht erkannte schwerere Erkrankungen könnten übersehen werden. „Daher sind diesbezügliche Warnungen im Beipacktext auch tatsächlich ernst zu nehmen – wenn die Wirkung ausbleibt, gehören die Beschwerden ärztlich abgeklärt“, warnt Länger.
Nicht alle pflanzlichen Produkte sind Arzneimittel, ein Hersteller kann sein Produkt auch etwa als Nahrungsergänzungsmittel vermarkten. Dafür sind deutlich weniger Tests erforderlich, dies macht es für manchen Hersteller leichter, große Investitionen zu umgehen.
Begriffsdschungel
• Rationale Phytotherapie = Wissenschaftliche Kräutermedizin • Phytopharmazie = Pharmazie, die Pflanzeninhaltsstoffe analysiert und pflanzliche Arzneimittel herstellt • Ein chemisch-synthetisches Arzneimittel besteht aus einem chemisch-synthetischen Wirkstoff, einem Molekül, das im Labor hergestellt wird. • Ein pflanzliches Arzneimittel besteht aus einem pflanzlichen Wirkstoff, also einem bestimmten Pflanzenteil (Wurzeln, Blätter, Früchte etc.) oder häufiger einem Extrakt, der über medizinisch wirksame Inhaltsstoffe verfügt • Pflanzeninhaltsstoffe sind Moleküle verschiedener Gruppen, die in dem pflanzlichen Wirkstoff vorkommen. • Analytische Chemie wird zur Analyse von chemisch-synthetischen Wirkstoffen und Pflanzeninhaltsstoffen eingesetzt. • Für Nahrungsergänzungsmittel muss kein Wirksamkeitsnachweis erbracht werden. Quelle: www.docjones.de |
Derzeit erfolgt relativ wenig klinische Forschung für pflanzliche Arzneimittel, die Anreize für dahingehende Investments sind nicht allzu groß. Zudem dürfen die Ergebnisse der Forschung zu traditionellen Pflanzenheilmitteln auch vom Wettbewerb genutzt werden – ein Faktor mehr, der kostenintensive Forschung nicht zur Priorität der Hersteller macht. Ab 2006, als es zu einer Änderung in der Gesetzgebung kam, wurden vermehrt Anträge auf Zulassung bzw. Registrierung gestellt. Mittlerweile ist der Peak wieder abgeflaut und nur wenige neue, oft sehr spezielle Wirkstoffe werden für den Zulassungsprozess angemeldet.
Ob ein Produkt ein Arzneimittel – mit entsprechend umfassendem Zulassungsprozess – ist oder nicht, kann der Kunde anhand einer Zulassungs- oder Registrierungsnummer am Arzneimittel feststellen, die in diesem Fall vorhanden sein muss. „Ist das nicht der Fall, fand keine behördliche Begutachtung statt“, sagt Länger abschließend. Im Zweifelsfall fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker …
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