Schneck is back! Über die kulinarische Renaissance der schleimigen Kriechtiere

Schnecken sind kulinarisch wieder angesagt

Von Kave Atefie

Jahrzehntelang waren Weinbergschnecken aus den Menükarten der Wirtshäuser und Restaurants verschwunden, jetzt feiern Sie über den Umweg der Hochküche ein fulminates Comeback. Was Haubenköche wie Max Stiegl vom Gut Purbach bereits vor Jahren in seine Karte eingebaut hat, hat nun auch in den Karten ambitionierter Wirtshäuser Einzug gefunden. Ohne zumindest ein Schneckengericht auf der Karte scheint es derzeit nicht zu gehen. Es signalisiert waghalsige Kreativität der Küche und gibt dem Gast die Möglichkeit sich als verwegener Trendsetter zu positionieren.

Trotzdem ist uns der Erfolg der schleimigen Kriecher nicht ganz geheuer und wir haben uns auf die Suche nach Antworten gemacht. Da konnten wir an Andreas Gugumuck, Österreichs erstem Schneckenbauer natürlich nicht vorbei. Er züchtet die kleinen Kaltblütler schon seit etwa zehn Jahren am vormaligen Gemüsehof seiner Eltern und ist damit sehr erfolgreich.

Um erst gar keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Wer denkt, dass es sich beim Genuss von Schnecken um einen völlig neuen, exotischen Trend handelt, der irrt gewaltig. Der Genuss von Schnecken war speziell in Wien schon vor über 250 Jahren schwer angesagt. So mussten im 17. Jahrhundert in Niederösterreich Schneckengärten zur Zucht angelegt werden, um den Wiener Bedarf zu decken. Die Anzahl an Schnecken, die in den Wiener Weinbergen eingesammelt wurden, reichte einfach nicht mehr aus um die großen Nachfrage zu befriedigen.

Zu der Zeit gab es Schnecken in beinahe jeder erdenklichen Zubereitungsart. Als Arme-Leute-Essen waren Sie als Suppe ebenso beliebt wie als Salat (in Wien schlamperte Schnecken genannt), umgekehrt standen sie in den oberen Gesellschaftsschichten auch in Form von Würsten und Pasteten am Speiseplan. Im Wirtshaus wurden gekochte Schnecken am liebsten mit Kren, Weinkraut oder mit einer Knoblauchsauce genossen.

Ein Beitrag zum Erfolg war sicherlich, dass Schnecken auch eine angenehme Abwechslung in der reiligiösen Fastenzeit waren. Da Schnecken nicht als Fleisch gelten, wurden sie in der Fastenzeit mit Genuss und in großen Mengen verspeist. Es verwundert daher auch nicht, dass die Schneckenzucht vor allem in Klostergärten perfektioniert wurde. Als größter Umschlagsplatz diente der Schneckenmarkt am Wiener Petersplatz, auf dem bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts die Standlerinnen, die sogenannten Schneckenweiber, die Tiere lebend als Wiener Auster feilboten.

Wien war zu dieser Zeit keine Ausnahme, in vielen Teilen Europas waren Schnecken damals fixer Bestandteil der Landesküchen. Doch während Italien, Frankreich oder Portugal zahlreiche Schneckengerichte als traditionelle Fastenspeisen bewahrten, nahm das Interesse in Österreich ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts rapide ab.

Schneck-Comeback

Freilich gab es auch hier trotzdem eine kleine, aber umso eingesschworenere Gruppe von Schneckenliebhabern, die die Weichtiere als Delikatesse genossen und die Rezepte weitergegeben haben. Die klassische Zubereitung der Schnecken nach französischer Tradition, zubereitet mit einer kräftigen Knoblauch-Kräuterbutter und mit Baguette serviert, hat daher als Wiener Spezialität in so manchem gutbürgelichen Gasthaus gegen jeden Modetrend die Zeit überstanden und ihren Platz in der Karte bewahrt.

Nun feiert die Schnecke ein Comeback: auf der Suche nach neuen alten Rezepten und Zutaten wurden die Mollusken von Spitzenköchen wiederentdeckt, die die Tierchen vor allem für ihre vielseitige Einsetzbarkeit schätzen. Das ging zwar nicht über Nacht, doch beständig rückten Schnecken Jahr für Jahr mehr in unser kulinarisches Bewusstsein, bis sie letztlich im Mainstream angekommen sind.

Über die Ursachen für den Erfolg darf freilich gerätselt werden, denn weder Aussehen noch Konsitenz der Kriecher erscheinen auf den ersten Blick sonderlich appetitlich. Andererseits bieten sie in Zeiten der Globalisierung Konsumenten die Möglichkeit nachhaltig produzierte Lebensmittel direkt aus der Region zu genießen. Zwei Faktoren, die in der momentanen Situation der durch und durch industrialisierten Lebensmittelproduktion nicht zu unterschätzen sind. Eine Antwort auf die Frage, warum die kleinen Schleimer immer mehr Menschen kulinarisch überzeugen, ist es freilich nicht.

Schnecken schmecken

Durch die steigende Anzahl an Gerichten – von Schneckengulasch und Schneckenbeuschel bis hin zu gebackenen Schnecken mit Knoblauchmayonnaise und Schnecken in Weinsud – ging die (Ab)Scheu offenbar bei so manchem verloren, der sich zuvor noch vor der vermeintlich schleimig-zähen Konsistenz ekelte. Schnecken schmecken wieder und diese Entwicklung hat einer bereits vorhergesehen oder zumindest herbeigesehnt, als von dem Hype noch keine Rede war.

Der studierte Wirtschaftsinformatiker Andreas Gugumuck war 10 Jahre in der IT-Branche bevor er durch Zufall auf die frühere Wiener Schneckentradition gestossen ist. Er ließ Informationstechnologie Informationszechnologie sein und übernahm den Bauernhof seiner Eltern, der seit bereits 300 Jahren in Familienbesitz war. Dort wo früher Gemüse für Suppengrün angebaut wurde, wollte er sich als Schneckenzüchter versuchen. Das Experiment gelang, Gugumuck hat den Markt über die Toprestaurants in Österreich aufgebaut und ist seitdem umtriebiger Unternehmer und unumstrittener Platzhirsch in der Schneckenproduktion.

Gugumuck konnte durch Beharrlichkeit Spitzengastronomen von seinem Produkt überzeugen, diesen wiederum ist es gelungen die Schranken in den Köpfen der Gäste zu durchbrechen um so die pure Geschmackserfahrung machen zu können. Keiner, der sich darauf eingelassen hat, so Gugumucks Erfahrungen, hätte die Überwindung bereut.

Auch wenn viele Konsumenten der Weinbergschnecke (Helix aspersa) kaum einen nennenswerten Eigengeschmack attestieren, widerspricht Gugumuck heftig. Er vergleicht den Geschmack von Schnecken mit jenem von Kalbfleisch mit einer leicht erdig-nussigen Note, gesteht aber, dass der Geschmack dezent ist und sich damit hervorragend mit vielen Aromen kombinieren lässt.

Mittlerweile beliefert die Wiener Schnecken Manufaktur, wie sich der Betrieb von Andreas Gugumuck offiziell nennt, nicht mehr ausschließlich die Gastronomie. Inzwischen gibt es im 10. Bezirk einen Hofladen auf dem Wiener Standort am Rande der Stadt und einen umfangreichen Webshop auf der Website des Unternehmens. Dort gibt es neben den klassischen, in Fond eingelegten Schnecken auch Schneckengulasch und Schneckenragout, sowie Schneckenleber und Schneckenkaviar als Delikatessen für Hardcorefans.

Schnecken: das Slow Food der Zukunft?

Seit Ende 2015 ist die Wiener Schnecken Manufaktur von Gugumuck der erste und einzige Betrieb in Österreich mit der EU-Zulassung zur Verarbeitung von Weinbergschnecken. Gugumuck bietet dort Führungen am Schneckenfeld an, bietet Erlebnisseminare mit abschließendem Schneckenessen, Kochkurse für Privat- oder Firmenevents und entwickelt eigene Programme für HLW & HBLA-Schulen mit den Schwerpunkten: Tourismus, Ernährung und Landwirtschaft. Wie gesagt, der Mann ist umtriebig, doch der Erfolg gibt ihm recht.

Gugumuck gibt gerne einen umfassenden Einblick in seine Schneckenzucht und er erzählt leidenschaftlich über seine visionären Future-Food-Konzepte. Was im ersten Moment etwas überkantitelt klingt, stellt sich schon nach kurzer Betrachtung als höchst interessanter Ansatz heraus. Gugumuck ist nämlich davon überzeugt, dass Schnecken das Essen der Zukunft sein werden. Tatsächlich sind sie im Gegensatz zu Schweinen und Rindern ressourcenschonend und damit auch wesentlich günstiger zu produzieren und im Vergleich zu Insekten auch gut züchtbar – alles gute Argumente für Schnecken als tierische Proteinlieferanten der Zukunft.

Zudem leben die Tiere in natürlicher Freilandhaltung und ernähren sich von lokal angebauten Kräutern und Gemüsen. In Form von Urban Farming können die Tierchen mitten in der Stadt gezüchtet werden. Bei geringem Wasser- und Flächenverbrauch und den Verzicht auf Gülle sind sie damit zweifellos eine umwelt- und klimaschonende Alternative zur konventionellen Fleischproduktion.

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Quellen:

– Wiener Schneckenmanufaktur e.U.
– www.die-feinschmeckerey.com

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