Hausärzte – Hoffnungsträger oder aussterbende Spezies?

Hausärzte

Von Volkmar Weilguni

Sie genießen das Vertrauen ihrer Patienten, nicht immer das ihrer Kollegen. Die Politik hat viel mit ihnen vor, ohne dafür aber die notwendigen Rahmenbedingungen bereitzustellen – die Hausärzte.

Meldung 1: „Es brennt!“ wird Dr. Gert Wiegele, Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin zitiert, wenn er nach der ärztlichen Versorgungssituation der – vor allem ländlichen – Bevölkerung befragt wird.

Meldung 2: „Die Stärkung der Primärversorgung ist ein zentrales Element der Gesundheitsreform“, sagt der Generaldirektor des Hauptverbandes Dr. Josef Probst. Dabei komme den Hausärzten eine tragende Rolle zu, darüber sind sich alle Gesundheitsexperten einig.

Die beiden Meldungen stehen sinnbildlich für den massiven Widerspruch zwischen Anspruch und Realität, zwischen Wunsch und Wirklichkeit, mit dem sich Österreichs Hausärzte immer stärker konfrontiert sehen. Sie werden zum Hoffnungsträger der Gesundheitspolitik hochstilisiert, gleichzeitig aber auch von den Playern im System als Spielball im Kampf um Einfluss und Geld missbraucht.

Beliebt bei ihren Patienten, aber vielfach kritisiert und oft ein wenig „von oben herab“ belächelt von der Fach-Kollegenschaft, kämpfen sie um Image und Wertschätzung beim Ärztenachwuchs, der oft schlecht vorbereitet in den praktischen Alltag entlassen und dort von den Sozialversicherungsträgern vernachlässigt wird. Das sind nur ein paar beispielhafte Facetten in der Rolle des Hausarztes zwischen Prellbock und Gesundheitslotse.

„Es brennt“

Das politische Bekenntnis zur Stärkung der Primärversorgung ist nicht neu, die Realität sieht allerdings ganz anders aus. Vor allem das traditionelle System der Landmedizin ist massiv bedroht, die Lage mancherorts schon heute prekär.

Dass es also tatsächlich „brennt“, lässt sich mit Fakten rasch belegen: In den vergangenen Jahren wurden trotz wachsender Bevölkerung und steigender Lebenserwartung Kassenstellen abgebaut. Gab es im Jahr 2000 noch knapp 8.500 niedergelassene Ärzte mit Kassenvertrag, so sind es heute nur mehr 7.000. Der Anteil der Allgemeinmediziner an der gesamten Ärzteschaft ist von 40 Prozent im Jahr 1960 auf knapp 16 Prozent gesunken, was nur etwa der Hälfte des internationalen Durchschnitts entspricht. Ideal für ein modernes Primärversorgungssystem wären nach wissenschaftlichen Erkenntnissen eher 50 Prozent.

Die Versorgungssituation wird sich noch weiter zuspitzen. Mehr als die Hälfte der heimischen Kassenärzte sind 55 Jahre oder älter und werden in den nächsten zehn Jahren aus dem Berufsleben ausscheiden. In manchen Bundesländern – etwa in Kärnten und der Steiermark – sind es sogar zwei Drittel, in einzelnen Regionen wie dem obersteirischen Bezirk Bruck fast drei Viertel. Nachfolger sind dafür – vor allem am Land – kaum in Sicht. Im Moment passiere genau das Gegenteil einer Stärkung der Primärversorgung, kritisiert daher Wiegele: „Die Basis wird immer dünner. Mein Eindruck ist, sie wird absichtlich ausgehungert.“

„Low Primary Care“-Land

Dabei sehen internationale Expertisen in einer Stärkung der Primärversorgung eine unbedingte Voraussetzung, um nicht nur die medizinische Betreuung der Bevölkerung sicherzustellen, sondern gleichzeitig auch die finanzielle Leistbarkeit des öffentlichen Gesundheitssystems nachhaltig abzusichern. „Hausärzte müssen immer mehr ins Zentrum der Gesundheitssysteme rücken“, ist etwa Prof. Richard Saltmann, Rollins School of Public Health, Atlanta, USA, überzeugt:

„Entweder man weitet ihre Rolle horizontal aus, macht sie also im Wesentlichen zu Koordinatoren, die ihre Patienten durch alle anderen Gesundheitsleistungen lotsen. Oder es kommt zu einer vertikalen Ausweitung ihrer Rolle und sie sind durch vermehrte Spezialisierung in der Lage, wichtige chronische Krankheiten zu behandeln, ohne an Spezialisten weiter zu verweisen.“

Die sehr vielfältige und oft auch widersprüchliche Rolle von Allgemeinmedizinern neu zu definieren und entsprechende Rahmenbedingungen, Regulatorien, aber auch Incentives, festzulegen, bezeichnet Saltmann allerdings als eine „komplexe Aufgabe für Entscheidungsträger im Gesundheitssystem“.

Im Moment sei Österreich jedenfalls meilenweit von einem funktionierenden Primary Health Care-System entfernt, meint Ärztekammer-Präsident Dr. Artur Wechselberger, der eher ein „Low Primary Care-Land“ diagnostiziert.

„Mein Hausarzt“

Bei ihren Patienten, die laut Beteuerung aller Stakeholder ja im Zentrum der Gesundheitsreform stehen sollten, genießen Hausärzte jedenfalls große Reputation und hohe Wertschätzung. Das bestätigen Umfragen in regelmäßigen Abständen. Darin sind auch über längere Zeiträume kaum Veränderungen in deren Beliebtheit ablesbar. Nicht umsonst würden Patienten von „meinem Hausarzt“ reden, sagt daher der Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der Österreichischen Ärztekammer, Dr. Johannes Steinhart: „Sie nehmen schon heute die Rolle von Vertrauensärzten, Patientenmanagern und Lotsen im Gesundheitssystem mit großer Zufriedenheit der Patienten ein.“

Gesprächskompetenz

Um ihre Funktion als Vertrauensarzt und Lotse leisten zu können, müssten allerdings zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllt sein, erläutert Prof. Dr. Josef Smolle, Rektor der Medizinischen Universität Graz: „Sie müssen für diese Tätigkeit ausreichend remuneriert werden. Und wir müssen noch mehr Wert auf eine fundierte Ausbildung der Allgemeinmediziner legen.“

Hier hinkt Österreich noch weit hinterher. Seit Jahren wird etwa zwischen Ärztevertretung, Politik und Sozialversicherung um eine verpflichtende Lehrpraxis gerungen. Aber auch die im Studium zu vermittelnden Skills müssen überarbeitet und neu bewertet werden. So wird nach wie vor die Entwicklung einer Kommunikationskompetenz im Curriculum nahezu sträflich vernachlässigt, obwohl längst als unbestritten gilt, dass gerade das Arzt-Patienten-Gespräch der „Entscheidungsplatz im Gesundheitssystem ist“, wie es Dr. Peter Nowak, Abteilungsleiter Gesundheit und Gesellschaft bei der Gesundheit Österreich GmbH, formuliert. Glaubt man übereinstimmenden internationalen Studien, dann sind „60 Prozent der Gesamtzufriedenheit der Patienten direkt von Quantität und Qualität des Arzt-Patienten-Gesprächs abhängig.“.

Es kommt dabei nicht nur darauf an, sich die notwendige Zeit für solche Gespräche zu nehmen, sondern auch die Kompetenz dafür zu haben, diese für den Patienten partnerschaftlich, wertschätzend und informativ zu gestalten. Entscheidend sei am Ende nicht, was der Arzt dem Patienten sagt, sondern das, was beim Patient davon verständlich ankommt. Jemand, der kommunikativ gut ausgebildet ist, könne oft auch in wenigen Minuten vermitteln, was andere auch in Stunden nicht schaffen.

Insgesamt haben Österreichs Ärzte jedenfalls „ein Problem, was das direkte Gespräch betrifft“, sagt Nowak. Die relevante Frage, die sich ihm stellt, lautet daher: „Wie entwickeln wir die Gesprächskultur weiter? Und wer will das überhaupt? Ich habe 1984 meine erste Untersuchung zur Arzt-Patienten-Beziehung gemacht. Ich glaube, in den 30 Jahren seither hat sich nicht viel geändert.“ Vielmehr gäbe es Hinweise darauf, dass diese Kultur „eher noch schlechter wird als besser“. Unter dieser Voraussetzung werde das Ziel des „mündigen Patienten“ eine unerreichbare Utopie bleiben.


Linktipps:

Österreichischer Hausärzteverband
Patientenanwalt: Der Patient und seine Rechte
Österreichs Patienten mit Ärzte-Wartezimmern wenig zufrieden
Phytopharmazie – wie natürliche Heilmittel wirken