TEM: Traditionell – europäisch – gesund

TEM: Traditionell – europäisch – gesund

Von Mag. Birgit Weilguni

Traditionelle Europäische Medizin (TEM) – das heimische Pendant zur Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) – fasst unter ihrem Dach eine Reihe von alternativ- bzw. komplementärmedizinischen Behandlungsmethoden zusammen. Warum es für uns Mitteleuropäer durchaus Sinn macht, sich dieses alten und neuen Wissens zu besinnen, wissen einige Experten, die bemüht sind, der TEM einen neuen, hochaktuellen Stellenwert zu geben.

Für die TEM existieren in Österreich längst Vereinigungen und Gesellschaften, die die Vielzahl der Aspekte auf medizinisch und pharmazeutisch wissenschaftlichem Niveau erforschen. Bis ein strenges Reglement den Wissenserwerb fixen Standards unterwirft, wird wohl noch einige Zeit vergehen, doch an den Vorbereitungen dafür wird bereits intensiv gearbeitet. So befindet sich das Institut für Traditionelle Europäische Medizin (InstiTEM) gerade mitten in der Gründungsphase einer Akademie und eines akkreditierten Studiengangs. Auf einer Forschungsplattform des InstiTEM werden Studienergebnisse zu Therapien ausgetauscht.

Doch auch interessierte Laien können sich TEM-Wissen aneignen. Zahlreiche Kurse sind auch für Interessenten ohne medizinische Vorkenntnisse offen, denn die Anwendungsgebiete sind so vielfältig, dass für jeden etwas dabei ist. So bieten etwa das InstiTEm und der TEM-Experte Dr. Martin Spinka gemeinsam einen TEM-kompakt Kurs im Stift St. Georgen am Längsee an, wo ab Ende April in vier Wochenendmodulen TEM-Wissen erworben werden kann. Dabei geht es um die Basis der TEM: die vier Temperamente und Archetypen, die spiritus-Lehre, Klosterküche und TEM-Ernährung, ausgewählte TEM-Therapien wie Aderlass, Schröpfen, Kräuterkegel oder Kneippen sowie die psychosomatische Dimension von Gesundheit und Krankheit.

Altes Wissen neu entdeckt

Das Wissen um die Heilkraft europäischer Pflanzen und medizinischer Traditionen ist zumeist sehr alt und reicht jedenfalls bis ins 5. Jahrhundert vor Christus, möglicherweise aber auch noch weiter zurück. In den vergangenen Jahren wurde es neu entdeckt und wiederbelebt, wobei die ganzheitliche Sicht einen deutlichen Unterschied zur konventionellen Schulmedizin darstellt. „Das Interesse ist aufgeflammt, weil die heutige Hightech-Medizin ihre Verdienste, aber auch ihre Schatten hat: Sie fokussiert so auf Krankheiten, Organe, systemische Größe, dass in ihr der ‚lebendige Mensch in seiner Ganzheit’ etwas außer Sicht gerät“, erklärt PD Dr. habil. Karl-Heinz Steinmetz, Leiter des InstiTEM. „Das ist aber das, was die Patienten fordern…“ Spürbar war dieses Interesse schon länger durch die Popularität der TCM, der Traditionellen Chinesischen Medizin. „Asiatisches Heilwissen ist zwar auch in Europa einsetzbar, aber viele Menschen interessieren sich heute für unser eigenes authentisches integratives Heilwissen“, ergänzt Steinmetz.

Auch Dr. Martin Spinka, TEM-Experte und Kurarzt in Bad Kreuzen, ist überzeugt, dass die TEM ihren berechtigten Platz in der heutigen Medizin hat: „Die Humoralmedizin – die Vier-Säfte-Lehre – hilft uns besser zu verstehen, wann ich was wie anwende.“ Als Vier-Säfte-Lehre wird die Humoralmedizin bezeichnet, weil ihr vier Körpersäfte mit den entsprechenden Temperamenten – Sanguiniker, Choleriker, Phlegmatiker, Melancholiker – zugrunde liegen. Sie stellt die Basis der TEM dar, die auf ein breites Feld von Aderlass, Schröpfen, Humoralpathologie über Klostermedizin, Heilpflanzen nach der Signaturenlehre bis hin zu Wasseranwendungen und Spezialmassagen verweisen kann. Der Mensch wird als Ganzheit betrachtet, dessen Konstitution die TEM stärken möchte, indem Dysbalancen reguliert und Selbstheilungskräfte aktiviert werden.

Schulmedizin und TEM können einander ergänzen und sind keinesfalls ein Widerspruch. „Das Schöne an der TEM ist, dass ich auch mit Gesunden etwas anfangen kann“, erklärt Spinka. „Ich kann dem Gesunden ganz spezifische Hilfestellungen geben, damit er gesund bleibt. Diese individuellen Hilfestellungen gibt es in der fortgeschrittenen modernen Schulmedizin nicht. Kommt es zu akuter, ernster, vielleicht sogar lebensbedrohender Krankheit, dann braucht es die beste Akutmedizin der Welt: die moderne Schulmedizin. Gleitet aber eine Krankheit über in einen chronischen Zustand, dann ist die TEM erste Wahl.“

Teilgebiete der Traditionellen Europäischen Medizin

Geschichte: Hippokrates von Kos (460 bis 370 v. Chr.) und Galenus von Pergamon gelten als Begründer der Humoralpathologie (Vier-Säfte-Lehre). Die TEM hat griechische, römische, vielleicht auch ägyptische Wurzeln, nahm germanische, keltische und slawische Impulse auf. Sie ist beinahe 3000 Jahre am Krankenbett verifiziert und gelebt worden. Im Mittelalter erreichte die Klostermedizin mit Hildegard von Bingen einen Höhepunkt. Der Arzt und Philosoph Paracelsus genauso wie Samuel Hahnemann mit der Homöopathie, Rudolf Steiner mit der Anthroposophie und Pfarrer Sebastian Kneipp mit den fünf Säulen für ein gesundes Leben sind Vertreter der TEM.

Kneipp-Medizin: Wasseranwendungen, Pflanzenwirkstoffe, Bewegungs- und Ernährungsempfehlungen

Naturheilkunde: vor allem diätetische und physikalische Selbstheilkräfte mithilfe der Natur

Anthroposophische Medizin: ganzheitlicher Ansatz nach Rudolf Steiner; Heilpflanzen, Heileurythmie, Farbtherapie, Rhythmische Massage, Kunst- und Maltherapie, Plastizieren, Musiktherapie etc.

Homöopathie: „Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden.“

Klostermedizin: Phytotherapie, Humoralpathologie, Hildegard-Medizin etc.

TEM vs. TCM

TCM und TEM sind sich in vielen Dingen ähnlicher, als man denkt. „Die TEM kann in etwa genau das, was die TCM kann. Der Witz: Die TCM ist für den chinesischen Kultur- und Klimakreis spezifiziert. Die TEM ist auf Europa – Fauna, Flora, Lebensstil etc. – ausgerichtet“, sagt Steinmetz. „Es gibt zahlreiche Überschneidungen: TCM und TEM kennen beide eine unterschiedliche Pulsdiagnose, beide kennen spannende Massagen, beide kennen eine strukturell ähnlich arbeitende Pflanzenheilkunde etc. Fazit: Strukturanalogie bei kultureller Unterschiedenheit.“

Auch Spinka registriert Überschneidungen, betrachtet aber den Umgang mit den beiden Lehren zum Teil auch kritisch: „Natürlich gibt es Überschneidungen, zum Beispiel sind ca. 60 % der europäischen und chinesischen Akupunkturpunkte gleich. 40 % unterscheiden sich aber. Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist die spirituelle Grundhaltung, die hinter der chinesischen und andererseits hinter der TEM steht. Ich denke, das viele der asiatischen traditionellen Medizinschulen als Ersatzreligion missbraucht werden – wo doch wir alle nach der Beantwortung von tiefer liegenden Fragen suchen. Immer waren Medizin und regionale Spiritualität eng miteinander verbunden. Die in unserer Region etablierte Hauptrichtung – die christliche Spiritualität – ist so stark in uns verankert, dass es dabei unerheblich ist, ob ich tatsächlich gläubiger Christ bin oder nicht.“

Die Erfolge der TEM – ob es nun um Massagen, Ernährung, Wickel- und Wasseranwendungen, pflanzliche Heilmittel, Spiritualität oder andere Therapien und Methoden geht – im Laufe der Jahrhunderte geben der Idee recht. Wie so oft geht es nicht darum, die Schulmedizin im Austausch mit der TEM links liegen zu lassen, sondern die beiden Herangehensweisen als Ergänzungen zu betrachten. Wer sich dafür interessiert, welche Gesundheit erhaltenden und fördernden Maßnahmen quasi vor unserer Haustüre nutzbar sind, kann mithilfe von Experten geeignete Therapien und Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Auswahl einsetzen.

TEM-Forschung und -Ausbildung

www.institem.at: Institut für Traditionelle Europäische Medizin (InstiTEM), geleitet von PD Dr. Karl-Heinz Steinmetz
www.tem-akademie.com: Dreijährige Fortbildung der TEM-Akademie, Windischgarsten (OÖ)
www.angelikaprentner-tem.com: 1. Heilpflanzen-Akademie für TEM in Mariazell/Südsteiermark von Dr. Angelika Prentner, Leiterin der Apotheke zur Gnadenmutter in Mariazell
www.tem-zentrum.at: TEM-Zentrum der Marienschwestern vom Karmel, in Aspach Dr. Regina Webersberger, in Bad Kreuzen Dr. Michaela Lehmann und Dr. Martin Spinka
www.stift-georgen.at: TEM-kompakt – Kurs des InstiTEM mit Dr. Martin Spinka – vier Wochenendmodule ab 28. April 2017

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