Von Kave Atefie
Es fällt nicht leicht das Aussetzen von Astra Zeneca-Impfungen ohne Polemik zu kommentieren, wir versuchen es dennoch. Diplomatisch formuliert sind die Impfpausen für AstraZeneca in manchen europäischen Ländern zumindest eines, überstürzt.
Die Ausgangslage
Nach dem Bekanntwerden von thromboembolischen Vorfällen haben einige Länder (zuerst Dänemark und Norwegen, dann auch Deutschland, Frankreich und andere) die Verabreichung des Vakzins von AstraZeneca temporär ausgesetzt, um Berichte über Nebenwirkungen zu prüfen.
In Zeiten einer weltweiten Pandemie – also in einer epidemiologisch riskanten Situation – ist dies ein weitreichender und zweifellos auch folgenschwerer Schritt mit großer Tragweite.
Wie kam es dazu? Die Entscheidungsgrundlage dafür waren einige schwere Fälle von Blutgerinnseln, darunter auch Todesfälle.
Aus medizin-ethischer Sicht ist dieser Schritt im ersten Moment höchst nachvollziehbar, bis, ja bis man sich die Datenlage genauer ansieht.
Die Befürchtung, dass das Serum von AstraZeneca Thrombosen (also durch Blutgerinnsel verursachte Gefäßverengungen) auslösen könnte, fußt nämlich auf einer statistisch sehr geringen Fallzahl.
Diese ist – in Relation zur Zahl der verabreichten Impfdosen – derart klein, dass sie aktuell aus wissenschaftlicher Sicht niemals einen so weitreichenden Schritt rechtfertigen würde.
Dennoch wurde er von der Hälfte der EU-Staaten gesetzt, und zwar trotz der Empfehlung von Fachleuten der europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), die Impfung derzeit nicht auszusetzen.
Die Datenlage
In der jetzigen Situation ist es enorm schwierig Zahlen aus unterschiedlichen Ländern mit jeweils unterschiedlichen Gesundheitssystemen und Impfvorgaben zu vergleichen, deswegen möchten wir an dieser Stelle ein Beispiel heranziehen, das über eine gute Dokumentation und vor allem eine aussagekräftige Datenmenge verfügt, Großbritannien.
Dort wurden bis Mitte März etwa 10,7 Mio. Dosen von Pfizer und 9,7 Mio. von Astrazeneca verimpft, dabei wurden konkret 28 thromboembolische Vorfälle registriert. Davon empfiehlen 15 auf das Vakzin von Pfizer Biontech und 13 auf den Impfstoff der Firma Astrazeneca.
28 Thrombose-Vorfälle auf 20,4 Millionen Impfungen (nicht Personen, wohlgemerkt). Diese Zahl liegt damit sogar etwas unter der Normalinzidenz für Thromboembolien. Anders gesagt: die Anzahl der aufgetretenen Blutgerinsel entspricht ziemlich genau jener, die auch bei ungeimpften Personen auftritt.
Zum Vergleich: laut minimed.at erkranken in Österreich im Jahr etwa 90 bis zumindest 130 pro 100.000 Menschen an einer akuten tiefen Venenthrombose.
„Es gibt aber eine hohe Dunkelziffer. Bei den Beinvenenthrombosen rechnet man sogar mit über 150 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohnern und Jahr, bei den Lungenembolien mit 100 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohnern. Lungenembolien sind die dritthäufigste Todesursache infolge von kardio-vaskulären Erkrankungen“, sagte Peter Marschang, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Internistische Angiologie (ÖGIA)
Von einer Lungenembolie spricht man, wenn durch eine Thrombose ein Blutgerinnsel (Thrombus) ein Blutgefäss in der Lunge verstopft. In Österreich sterben jährlich mehr als 4.000 Menschen an Lungenembolien.
Oder noch eindeutiger: es gibt in Österreich bis zu 13.000 (!) Venenthrombosen pro Jahr bei 8 Mio. Einwohnern, ohne Impfung wohlgemerkt. Das entspricht nicht ganz 36 pro Tag! Bedeutet statistisch auch, dass von den ca. 500.000 bereits in Österreich geimpften Personen statistisch ca. 800 in diesem Jahr eine Trombose bekommen werden und zwar so oder so, nicht aber wegen der Impfung.
Das wären also 2 bis 3 Personen pro Tag. Aktuell gibt es aber unter den Geimpften viel viel weniger Thrombosefälle.
Dies nur zur Einschätzung der Größenordnung.
Exkurs: Nebenwirkungen
Alle Arzneimittel haben Nebenwirkungen, auch Impfungen.
Hier die aktuelle Definition von Häufigkeiten:
- bei mehr als einer Nebenwirkung pro 10 behandelter Personen (>10%) spricht man von „sehr häufig“
- bei 1 bis 10 von 100 Behandelten (1 – 10%) von „häufig“
- bei 1 bis 10 von 1.000 Behandelten 0,1 – 1%) von „gelegentlich“
- bei 1 bis 10 von 10.000 Behandelten (0,01 – 0,1%) von „selten“
- bei weniger als einer von 10.000 Behandelten (<0,01%) von „sehr selten“ ¹
Die bisher genannte Anzahl von Thrombosefällen nach einer Astra Zeneca Impfung beträgt 0,007 bis 0,01 Prozent – je nachdem welche Länder man betrachtet.
Evidenzbasierte Entscheidungen?
Jetzt kommt das große Kopfschütteln: es lassen sich bei den dokumentierten Thrombosefällen (die nach einer Impfung aufgetreten sind) noch nicht einmal Kausalzusammenhänge mit der Impfung nachweisen. Bekannt ist allerdings, dass Blutgerinnungsstörungen nicht selten bei schweren Covid 19 Verläufen auftreten, doch das ist eine andere Geschichte.
Natürlich müssen solche Vorfälle genauestens untersucht werden, und jeder Fall ist ein Fall zu viel, doch muss es eine Verhältnismäßigkeit geben. Wir erinnern uns, je nachdem welche Verimpfungsraten man aus den Ländern heranzieht, geht es da um eine Größenordnung von 0,007 bis 0,01 Prozent (!!!).
Warum dann die plötzliche und unvermittelte Entscheidung vieler Länder, die Impfung bis zu einer neuerlichen Stellungnahme der Europäischen Arzneimittelagentur auszusetzen?
Es kann nur Spekulationen geben, denn die derzeitige Faktenlage erlaubt eigentlich keine derartig dramatischen Entscheidungen.
Und wenn AstraZeneca ausgesetzt wird, warum nicht auch das Serum von Pfizer, wo es ja ebenfalls dokumentierte Fälle von Thrombosen gibt?
Der Public Health Experte Dr. med. Martin Sprenger, Leiter des Universitätslehrganges Public Health der Medizinischen Universität Graz, verweist auf einen interessanten Punkt:
Hauptgrund für das Aussetzen des Impfstoffs in Deutschland war etwa ein „gehäuftes“ Auftreten (7 Fälle bei zirka 1,6 Millionen Impfungen, oder 1:230.000) des sehr seltenen spontanen Heparin-induzierten Thrombopeniesyndroms. Dieses kann zu Thrombosen, in diesem Fall Sinusvenenthrombosen – einer Hirnvenenthrombose – führen. Drei der davon betroffenen Personen sind verstorben. Ob es eine Dunkelziffer gibt, oder ob bestimmte Risikofaktoren eine Rolle spielen, wird aktuell untersucht.
Völlig unklar ist, warum in Großbritannien bei knapp 10 Mio. verabreichten Dosen des Astra Zeneca Impfstoffes (Stand: Mitte März 2021) gerade einmal 3 Fälle mit Thrombopeniesyndrom gemeldet wurden.
Hysterische Medien, schwache Politik, desaströse PR
Tatsache ist, dass mit dem Aussetzen des Impfstoffes unwiderruflicher Schaden entstanden ist.
Ob hysterische Medienberichterstattung oder ängstliche Politiker oder eine Kombination aus beiden Faktoren für diese Entscheidung verantwortlich sind, wird später einmal zu beurteilen sein.
Aktuell kommt es jedenfalls medial so rüber, als wäre dieser Impfstoff „schlechter“ oder „gefährlicher“, obwohl das bis jezt eben noch gar nicht wissenschaftlich belegt ist.
Egal, wie die Europäische Arzneimittel Agentur am 18.3.21 entscheiden wird, ist das Image des Impfstoffes nachhaltig beschädigt.
Wird die Impfung wieder fortgesetzt, wird gemauschelt, dass etwas vertuscht werden soll, wird sie nicht fortgesetzt, werden Fragen aufkommen, wie das Serum überhaupt eine Zulassung bekommen konnte.
Österreich hat bisher in dieser Angelegenheit besonnen reagiert und vorerst nur jene Charge ausgesetzt, die bei den betroffenen Thrombosefällen zum Einsatz kam. Denn natürlich wären auch fehlerhafte Produktionschargen möglich, das wäre allerdings ein ganz anderer Skandal und hat mit der ursprünglichen Wirkung des Vakzins an sich nichts zu tun.
Ein Stopp des Impfstoffes in Österreich wäre jedenfalls ein harter Rückschlag und würde die Durchimpfung massiv verzögern.
Auch AstraZeneca selber trägt maßgeblich Mitschuld an dem wachsenden Misstrauen. Von Anfang an haben Ungereimtheiten den in Oxford entwickelten Impfstoff begleitet: fehlerhaftes Studiendesign mit unzureichenden Stichproben einerseits, gebrochene Lieferversprechen gegenüber der EU haben das Vertrauen nicht gerade gestärkt.
Übrig bleibt eine völlig verunsicherte Bevölkerung. Ein Jammer.
*** Update 18.3.2021 ***
Die Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) hat nach neuerlicher Untersuchung am 18. März 2021 erneut grünes Licht erteilt und den Impfstoff als sicher und effektiv beurteilt.
Österreichs Nationales Impfgremium schloss sich danach erneut dieser Meinung an. In einer schriftlichen Stellungnahme hieß es; „Die Vorteile des Impfstoffes bei der Bekämpfung der immer noch weit verbreiteten Bedrohung durch COVID-19 überwiegen weiterhin gegenüber dem Risiko von Nebenwirkungen.“
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Quellen:
¹ Public Health Graz – Dr. med. Martin Sprenger, MPH
² EU-Behörde prüft Impfstoff von AstraZeneca (Deutsche Welle)
³ Covid-19-Impfstoff: AstraZeneca (medizin-transparent.at)
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