Brauchen wir noch Schulärzte?

Brauchen wir noch Schulärzte?

Von Mag. Birgit Weilguni

Das heimische Schularztwesen ist seit vielen Jahren etabliert, weist aber Lücken auf. Insbesondere Impfungen und Dokumentationsarbeit stehen derzeit im Kreuzfeuer. Der Gemeindebund fordert die Abschaffung der Schulärzte, die Ärzte und ihre Standesvertretung widersprechen. Was steckt hinter diesem offen ausgetragenen Konflikt?

Ausgangslage

Sollen Schulärzte tatsächlich abgeschafft werden? Diese Forderung hat der Gemeindebundes wegen vermeinlich geringem Nutzen und großem Einsparungspotenzial erhoben. Wir haben uns die Situation deshalb genauer angesehen. Folgende Fragen werden behandelt:

  • Wie ist es in den Bundesländern tatsächlich um die Ausstattung der Schulärzte bestellt?
  • Wer zahlt die Schulärzte eigentlich?
  • Was können Schulärzte zum Thema Impfmüdigkeit und Adipositas tun?
  • Kann die Mutter-Kind-Pass Pflicht bis 18 tatsächlich die Vorsorge kompensieren?
  • Wie ist es mit dem Kinderärztemangel bestellt, würde es nicht zu einer Verschärfung der Situation kommen?

Schulärzte zwischen Kompetenzwirrwarr und Streit der Institutionen

Im vergangenen Sommer befeuerte Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl die Diskussion um die Schulärzte mit seiner Forderung sie abzuschaffen. Bei Weitem nicht alle Kinder, Eltern und Lehrer sind zufrieden mit allen Aspekten des Schulärztesystems, aber die Forderung sie abzuschaffen kam dennoch für viele überraschend.

Auslöser der Diskussion war das Gesundheitsministerium, das eine neue Verordnung zur Ausweitung der schulärztlichen Kompetenzen in Aussicht stellte. Rund 1.500 Schulärzte wären betroffen.

So wäre etwa eine Anbindung des Impfprogramms an den elektronischen Impfpass, dessen Roll-out im Zuge von ELGA, der elektronischen Gesundheitsakte, bis 2021 vorgesehen ist, erstrebenswert, wie das Sozialministerium anmerkt. Damit soll unter anderem dem Ausbruch von Infektionskrankheiten vorgebeugt werden.

„Verbesserungen im Schulärztesystem wie die pseudonymisierte und elektronische Auswertung der schulärztlichen Untersuchungen sowie Planung und Monitoring von Präventionsprogrammen in Schulen anhand einer validen Datenbasis wurden seit vielen Jahren als Ziele definiert“, heißt es hier weiter.

Daten sollen in pseudonymisierter Form gesammelt werden und für erforderliche Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und -prävention zur Verfügung stehen. Weiters sollen Schulärzte für gesundheitsbezogene Projekte zur Gesundheitsförderung und Gesundheitserziehung herangezogen werden. Soweit einige der Eckpfeiler der geplanten Verordnung.

Gemeinden gegen Verordnung

Die Initialzündung zur Diskussion gab das Gesundheitsministeriums mit der geplanten Verordnung, mit der Schulärzte explizit auch für Schutzimpfungen, Gesundheitsförderung und Dokumentation von Gesundheitsdaten zuständig werden sollen.

Doch Gemeindebund-Chef Riedl bat um eine Verschiebung der Verordnung, denn eigentlich wäre es ohnehin besser, Schulärzte gleich gänzlich abzuschaffen, denn die Verordnung würde lediglich ein nicht funktionierendes System einzementieren. Bei jährlich 80 untersuchten Kindern pro Stunde gäbe es ohnehin keine Beratung oder Aufklärung und für die Dokumentation fehlten schlichtweg Computer.

Datenschutzprobleme werden ins Feld geführt, die Möglichkeiten für Gespräche mit Eltern werden infrage gestellt. De facto zuständig sind bei Bundesschulen das Bildungs- und das Gesundheitsministerium sowie die Länder, bei Pflichtschulen zusätzlich die Gemeinden. Dadurch gebe es in jedem Bundesland unterschiedliche Regelungen.

Alternativ schlug Riedl vor, den Mutter-Kind-Pass bis zum 18. Lebensjahr auszuweiten und damit Schülern regelmäßige Untersuchungen bei niedergelassenen Ärzten nahezulegen. Dort gebe es mehr Zeit für das aufklärende Gespräch und Infrastruktur für die elektronische Dokumentation. Für den Fall des Nicht-Inanspruchnehmens des Angebots kann sich Riedl finanzielle Sanktionen vorstellen. Die Ärztekammer wandte sich gegen diese Vorschläge und unterstützte den Vorschlag des Ministeriums.

Schularztsystem mit Finanzierungslücken

OMR Dr. Ernst Wenger, Kinderarzt und Leiter der AG Schulärztinnen und Schulärzte, stellt klar: „Die schulärztliche Tätigkeit ist im Schulunterrichtsgesetz § 66 verankert und wird nicht geändert werden.“ Dies sei auch sinnvoll, denn die schulärztliche Untersuchung sei unterrichtsbezogen und habe die Aufgabe, die Lehrer als medizinische Laien in gesundheitlichen Fragen der Schüler zu beraten.

Damit das möglich ist, muss sich jeder Schüler einmal jährlich untersuchen lassen. Nur so sei es möglich, einen Überblick über den Gesundheitszustand der Kinder und Jugendlichen insgesamt sowie über den einzelnen Jugendlichen zu erhalten. Derzeit werden die Daten leider nicht ausgewertet. Wenger ist sicher, dass dieses Angebot insbesondere für jene Kinder und Jugendlichen wertvoll ist, die – aus welchen Gründen auch immer – keinen Zugang zu Gesundheitsleistungen suchen oder finden.

„Sie können zwar nicht behandelt werden, weil Schulärzte außer in Notfällen nicht behandeln dürfen, sie und die Eltern können aber aufgefordert werden, sich zu einer Untersuchung oder in Behandlung zu begeben“, ergänzt Wenger.

Bezahlt wird die Schularzttätigkeit vom Schulerhalter. Bundesschulen seien nicht das Problem: Zuständig ist das Unterrichtsministerium und weder die Versorgung durch Ärzte mit einer regelmäßigen Anwesenheit von einer Stunde pro Woche und pro 60 Schüler noch die Besetzung dieser Stellen sind ein Problem. In den Pflichtschulen bezahlt ebenfalls der Schulerhalter, also die Gemeinden unter Beteiligung der Länder.

Weder Dotierung noch Verfügbarkeit sind mit Bundesschulen zu vergleichen. „In den Pflichtschulen werden meist nur die Reihenuntersuchungen durchgeführt, eine regelmäßige Anwesenheit wie in den Bundesschulen ist nicht die Regel“, so Wenger. „Die Honorierung ist für die Kollegen wenig zufriedenstellend, daher sind in mehreren Bundesländern viele Schulen ohne Schularzt.“

Einigkeit über Mutter-Kind-Pass

Einig sind sich Gemeindebund und Ärzteschaft allerdings darüber, dass das Erfolgsprojekt Mutter-Kind-Pass auf das Jugendalter ausgedehnt werden sollte. „Weil in vielen Schulen Schulärzte fehlen, wäre es jedenfalls sinnvoll, den MKP-Pass auf das Kindes- und Jugendalter auszudehnen, um auch diesen schulärztlich nicht betreuten Kindern eine Untersuchung bei den niedergelassenen Ärzten anbieten zu können“, bestätigt Wenger.

„Diese teilweise Verlagerung in die freie Kinderarztpraxis stellt meines Erachtens keine hohe Mehrbelastung in den Praxen dar, weil die Kinder- und Jugendlichen ihren Behandlern meist schon jahrelang bekannt sind. Ein zusätzlicher Vorteil ist sicher auch die Vertrauensstellung des ‚eigenen‘ Arztes.“

In der Regel kontrollieren Schulärzte die Impfpässe der Kinder und informieren Eltern über Lücken. Wo dies nicht der Fall ist, sieht Wenger die öffentlichen Gesundheitsdienstleister in der Pflicht, Schulärzte dafür zusätzlich unter Vertrag zu nehmen.

Das Problem der fehlenden Schulärzte im Pflichtschulsektor würde das wohl auch nicht lösen. Abschließend betont Wenger, wie wichtig Schulärzte sind: „Natürlich können Schulärzte, soweit sie regelmäßig und in ausreichendem Zeitausmaß an den Schulen vorhanden sind, das Gesundheitsverhalten der Kinder und Jugendlichen mit beeinflussen.

Dies ist derzeit aber nur an den Bundesschulen gewährleistet. An den Schulen besteht aus meiner Erfahrung höchster Bedarf an psychologischer und sozialarbeiterischer Unterstützung. Aber auch hier kann ein Schularzt wertvolle Unterstützung leisten.“

Die Verhandlungen aller involvierten Stakeholder – Gesundheitsministerium, Unterrichtsministerium, Länder, Städtebund, Gemeindebund und Privatschulerhalter – werden wohl nicht so schnell zu einem Ergebnis führen. Auch der Vorschlag, Teams bestehend aus Schulärzten, Psychologen und Sozialarbeitern einzurichten, wurde etwa von der Vorarlberger Lehrerinnen-Initiative ins Spiel gebracht. Die Ärztekammer sprach sich dagegen aus und plädiert weiter für eine Aufwertung der Schulärzte.

Die Diskussion wird nicht so schnell ein Ende finden und das ist aus Sicht von Eltern und Kindern durchaus bedauernswert, denn in den Funktionen der Schulärzte steckt jedenfalls jede Menge Potenzial.

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